DEBATTE
: „Ausländerfeinde“ auf die Couch?

■ Die psychologische Dimension wird der Komplexität der Debatte um Asyl und Ausländer — besonders im Arzt-Patient-Verhältnis — nicht gerecht

Gerhard Vinnais Thesen zur Sozialpsychologie der Fremdenfeindlichkeit (siehe taz vom 26.11.) sind ein trauriges Beispiel für die Dialogunfähigkeit vieler Linker, die sich selbst gerne das Gütesiegel der „Ausländerfreundlichkeit“ verleihen. Dabei wäre ein Dialog zwischen den linken Intellektuellen und dem vermeintlich ausländerfeindlichen Rest der Bevölkerung dringend nötig. In kaum einer Frage klaffen die Einstellungen zwischen linken und liberalen Intellektuellen einerseits und dem „Restvolk“ andererseits so sehr auseinander wie in der Beurteilung der Ausländerpolitik.

Statt in einen Dialog einzutreten, seziert Vinnai die „ausländerfeindlichen“ Einstellungen in der Bevölkerung. Seine Argumentation zeichnet sich durch eine Mischung aus verständnisvollem Mitleid für die Unterprivilegierten und arroganter Herablassung des „Aufgeklärten“ aus. Das „nationalistische Weltbild“, so Vinnai, „nimmt die Komplexität ökonomischer und sozialer Prozesse nicht zur Kenntnis“. Der kritische Intellektuelle darf sich in seinem differenzierten Weltbild bestätigt fühlen, er weiß ja schließlich alles besser. Dank dieser höheren Einsicht ist er natürlich auch nicht auf „Sündenböcke“ angewiesen — wie die Ausländerfeinde.

Statt gestritten wird nur seziert

Der Autor wartet gleich mit den gesammelten Weisheiten von Psychoanalyse und kritischer Theorie auf: In seinem Beitrag durfte natürlich weder der Hinweis auf Sigmund Freud fehlen (gleich im zweiten Satz) noch auf Wilhelm Reich (mit Zitat aus der Massenpsychologie des Faschismus) und Theodor Adorno. Angesichts dieser geballten psychoanalytischen und kritischen Theorieklassiker hat der „Fremdenfeind“ nicht mehr die geringste Chance, seiner endgültigen Entlarvung zu entgehen. Beim gebildeten Leser lösen die erwähnten Namen „Aha-Erlebnisse“ aus, die der Autor durch Verwendung weiterer Schlüsselbegriffe zugleich bestärkt.

Allen Wissenden ist jetzt klar, daß die Einstellungen der „Fremdenfeinde“ nur Ergebnis von „Verdrängungen“ und „Projektionen“ Ich- schwacher Charaktere sind: „...wo das sexuelle Begehren nicht gelebt werden kann, erfährt man ihre (d.Ausländer) Triebhaftigkeit als bedrohlich.“ Besonders männliche Jugendliche, die „Schwierigkeiten mit dem anderen Geschlecht haben und zugleich zu einer Überbetonung einer fragwürdigen Männlichkeit tendieren“, neigten zur Ausländerfeindlichkeit. Wie gut, wenn man als aufgeklärter Zeitgenosse, gewappnet mit den Einsichten der Frauenbewegung, vor solcherlei Verwirrungen gefeit ist! Vorurteile haben immer die anderen. Das ist Vinnais beruhigende Botschaft.

Meine These: Wer den Gesprächspartner gleich auf die Couch legt, statt sich mit ihm an einen Tisch zu setzen, erweist sich als unfähig zum Dialog. Natürlich ist Fremdenfeindlichkeit auch ein Phänomen, das mit Hilfe psychologischer Kategorien erklärt werden kann. Andererseits ist in der Diskussion über die Asylpolitik eine Inflationierung des Begriffes „Ausländerfeindlichkeit“ erfolgt, die oft nicht mehr zwischen wirklichen Ausländerfeinden und politisch Andersdenkenden unterscheidet. Darüber hinaus muß bezweifelt werden, ob es ein erfolgversprechendes Rezept ist, dem Durchschnittsbürger erst einmal zu zeigen, wie neurotisch, verklemmt und „wahnhaft“ er beziehungsweise sein Weltbild ist, in der Hoffnung, dieser hätte nun das unstillbare Verlangen, von seinen psychischen Defekten kuriert zu werden.

Klischees verhindern kritischen Dialog

Ist das therapeutische Gespräch zwischen Analytiker und Patient ein tragfähiges Modell für den notwendigen gesellschaftlichen Diskurs über die aus der Armutswanderung resultierenden Probleme? Voraussetzung für den Dialog wäre, daß man die Sorgen, Ängste und Argumente des Andersdenkenden und Andersfühlenden wirklich ernst nimmt. Wer die Sorgen und Befürchtungen seiner Mitmenschen von vornherein als Einbildungen und Folgeerscheinungen neurotischer Projektionsprozesse abtut, wird keinen Dialog zustande bringen. Der Autor verwendet indes keine Sekunde auf den Gedanken, daß manche Sorgen und Ängste der sogenannten „Fremdenfeinde“ vielleicht auch eine reale Grundlage haben könnten.

Zu Recht haben Daniel Cohn- Bendit und Thomas Schmid unlängst nachdrücklich davor gewarnt, „die multikulturelle Gesellschaft als einen modernen Garten Eden harmonischer Vielfalt zu verklären“. Über die Probleme im Zusammenleben von Deutschen und Ausländern muß offen gesprochen werden — Verdrängung und Tabuisierung führen nicht weiter.

Will ich im Dialog selbstkritische Lernprozesse bei meinem Gesprächspartner in Gang setzen, dann gelingt mir dies am besten dadurch, daß ich zunächst meine eigene Lernfähigkeit und Selbstkritik-Fähigkeit unter Beweis stelle. Wer hingegen in einer durch nichts zu erschütternden Selbstgewißheit meint, er sei frei von Vorurteilen, wird mit seinem Appell, der Gesprächspartner solle doch seine Vorurteile aufgeben, wenig bewirken. Dabei ist offensichtlich, daß viele sogenannte „Ausländerfreunde“ das ausländerfeindliche Vorurteil nur mit einem anderen Vorzeichen versehen.

Deutscher Selbsthaß versus „guter Ausländer“

Dem Klischee vom „bösen Inländer“ wird das Klischee vom „guten ausländischen Mitbürger“ entgegengesetzt, oftmals verbunden mit Stereotypen über den faschistoiden, ausländerfeindlichen Deutschen.

Ute Knight und Wolfgang Kowalsky schreiben in ihrem soeben erschienenen Buch Deutschland nur den Deutschen?: „Xenophilie und deutscher Selbsthaß erscheinen als zwei Seiten einer Medaille. Diese janusköpfige Verbindung ist bei den Grünen häufig anzutreffen. In ihren Darstellungen erscheint die Bundesrepublik und ihr Verhalten gegenüber Ausländern als abgrundtief schlecht, als rassistisch, diskriminierend, und im Gegenzug erscheinen die Ausländer als gut und nett, als exotische Farbtupfer im grauen deutschen Einerlei.“ Diese „Glorifizierung der Ausländer“ sei hingegen keine geeignete Strategie gegen die Ausländerfeindlichkeit. Es wäre gut, wenn jene, die sich selbst für so unendlich „aufgeklärt“ halten, damit beginnen würden, sich auch über eigene Vorurteile, Projektionen, Verdrängungen und Tabus Rechenschaft abzulegen.

Vinnai erklärt die Ausländerfeindlichkeit auch mit dem Ende des kalten Krieges und dem Bedarf an neuen Feindbildern: „Wer, um ein prekäres psychisches oder soziales Gleichgewicht aufrechterhalten zu können, weiterhin auf Schwarz- Weiß-Bilder angewiesen ist, in denen das Böse, abgespalten vom Guten, nach außen verschoben ist, muß nach neuen Feindbildern Ausschau halten.“ Die Argumentation kann mit gleicher Berechtigung auf viele selbsternannte „Antirassisten“ und „Ausländerfreunde“ bezogen werden. Der Kampf gegen „Neonazis“ hat auch die Funktion, von der notwendigen linken Vergangenheitsbewältigung abzulenken.

Im Kampf gegen „Ausländerfeindlichkeit“ sind die „Guten“ und die „Bösen“, die „Linken“ und die „Rechten“, wieder fein säuberlich voneinander geschieden. Kritische Fragen und Selbstzweifel angesichts des Zusammenbruchs des real existierenden Sozialismus können verdrängt werden. An die Stelle von Unsicherheit und Selbstzerknirschung tritt wieder die Gewißheit, auf der „richtigen Seite“ zu stehen und mit dem „richtigen Bewußtsein“ ausgestattet zu sein. Rainer Zitelmann

Der Autor forscht am Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung der FU Berlin in der Abteilung „Vergleichende Faschismusforschung“.