: Konzert für zwei Bauchnabel
■ Von »chilangas« und »chilangos«: Zur Ausstellung »Mexiko — Stadt der Frauen«
Wenn hierzulande Informationen über Mexiko-Stadt erscheinen, dann haben sie meist Katastrophencharakter. Mit ihren über 20 Millionen Einwohnern ist Mexiko die größte Metropole der Welt, eine Monstropolis, in der soziale, ökologische und Naturkatastrophen zum Alltag gehören. Wo, wie hier, das Chaos zum neuen Ordnungsprinzip erhoben wird, sind auch die Liebhaber apokalyptischer Endzeitphantasien nicht weit entfernt. Und doch können sich nur wenige, die einmal in den Bann der Stadt geraten, ihrer Faszinationskraft entziehen. Daß dieser erschreckende und faszinierende Moloch eine Stadt der Frauen sei, wird nun allerdings zum ersten Mal behauptet. Der provokative und verheißungsvolle Ausstellungstitel, so räumen die Ausstellungsmacherinnen ein, bezieht sich jedoch weniger auf die reale Stadt als vielmehr auf die fiktiven Städte in der Stadt, auf die Räume, die sich Mexikanerinnen erobern, die sie besetzen, entdecken oder auch erfinden. Gemeint ist damit nicht die individuelle Mexikanerin, es geht vielmehr um »Frauen in Bewegung, d.h. Frauen, die gemeinsam mit anderen aus- und aufbrechen aus scheinbar naturgegebenen Realitäten, Schemata und Stereotypen — auf der Suche nach den vielfältigen Möglichkeiten weiblichen Seins.«
»Einige von uns Mexikanerinnen organisieren sich, andere nicht; die Hauptsache ist, daß wir am Leben bleiben in diesem mexikanischen Tal, von dem unsere Träume ausgehen und in dem wir Sonnen und Monde gebären, damit uns die Ära der fünften Sonne nicht ahnungslos überrascht.« Adriana Batista, die nach eigenen Aussagen bei einem Gähnen der Stadt 1963 auf die Welt kam, ist eine von den »chilangas«, den in Mexiko-Stadt geborenen Frauen, die sie in ihrem Katalogbeitrag: Konzert für zwei Bauchnabel beschreibt. Für sie wie für andere chilangas und chilangos hat sich die Stadt gegenüber ihren Bewohnern längst verselbständigt, ist selber zum Subjekt geworden, das Menschen verschlingt und ausspuckt und ungebändigt weiterwächst. Die Ära der fünften Sonne, nach aztekischer Weltauffassung die Erdbebensonne, hatte sich mit dem Erdbeben im September 1985 angekündigt. Die Erfahrungen dieser Katastrophe, die sich schnell in eine soziale verwandelte, hat insbesondere auch Frauen in Mexiko-Stadt zum Handeln und zur Einmischung veranlaßt. Von diesen und anderen chilangas, die sich organisieren und ihr Schicksal selbst bestimmen wollen, handelt die Ausstellung Mexiko — Stadt der Frauen, die jetzt im Haus der Kulturen der Welt zu sehen ist. In einer Art Momentaufnahme dokumentiert sie mit Fotos, Objekten der Alltagskultur, Plakaten, Zeitschriften, Zitaten und Texten sehr verschiedenartige Ausdrucksformen von Frauenkultur in Mexiko-Stadt. Das Spektrum reicht von Frauen aus den Stadtteilbewegungen, Gewerkschaften, Universitäten, Medien und der Demokratiebewegung über feministische Gruppen und Lesbenbewegung bis hin zu ethnischen Zentren und Punkgruppen.
Entscheidend für die Konzeption und Realisierung des Projektes war die Idee, daß deutsche und mexikanische Frauen diese Ausstellung in interkultureller Zusammenarbeit gemeinsam organisieren. Um zu verhindern, daß es eine Ausstellung des »fremden Blicks« wird, übernahmen die Mexikanerinnen die Gestaltung und Inszenierung ihrer Widerstands- und Organisationsformen — »einer anderen Art zu sein«. Und dem Titel El otro modo de ser, der einem Gedicht der mexikanischen Schriftstellerin Rosario Castellanos entnommen ist, hatte die Ausstellung nach dreijähriger Vorbereitungszeit im Juli 1991 ihre Premiere in Mexiko- Stadt. Gezeigt wurde sie dort in einem ärmeren Stadtviertel im Zentrum der Stadt, dessen Gerüche, Geräusche und Bewohner eine fast organische Verbindung von innen und außen, von Ausstellung und ihrem Ambiente herstellten. Aus dieser Umgebung herausgerissen und im Haus der Kulturen der Welt fast unverändert wieder aufgebaut, hat die Ausstellung an mexikanischer Lebendigkeit verloren. Das liegt nicht nur an dem Betonbau mit seiner für jede Form von Ausstellung schwierigen Architektur, sondern auch an ihrer Ordentlichkeit, die sich fast unbemerkt in das in Mexiko noch eher labyrinthische und auch unübersichtliche Ausstellungsdesign eingeschlichen hat. Gepaart mit der Friedhofsstille des Tiergartens, bekommt die Ausstellung einen sakralen Anstrich, der gar nicht zu ihr paßt. Ihr fehlt hier der Lärm und die Musik im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.
Abgesehen von diesen äußerlichen Widrigkeiten, ist die Selbstdarstellung mexikanischer Frauenkultur in unserer Kultur — also einer ihr fremden — auch mit Vermittlungs- und Übersetzungsschwierigkeiten konfrontiert, die im Kontext einer Ausstellung nicht allein sprachlich über erklärende Texttafeln zu lösen sind. Das Problem liegt nicht an den Inhalten, die dokumentiert werden, es liegt vielmehr in der Inszenierung der Ausstellung. Inszeniert wird das dokumentarische Material sehr naturalistisch und überwiegend in einer Ansammlung aus bunten Schaumstoffiguren und -objekten, die gerade durch die Materialwahl wenig sinnliche und physische Substanz ausstrahlen und durch ihren Naturalismus in unserer Kultur folkloristisch anmuten. Der Schaumstoffmacho oder die furchterregende aztekische Göttin Coatlicue aus diesem Material, die in der mexikanischen Wahrnehmung durch die mit ihnen verbundenen kulturellen Erfahrungen sinnliche und stoffliche Qualität annehmen können, vermitteln bei uns — aufgrund des Fehlens dieser Erfahrungen — nur Schaum, aber keinen Stoff. Denn nichts in unserer Kultur läßt sich auf sie beziehen.
Gerade bei der Übernahme der Ausstellung nach Berlin hätte Einmischung der deutschen Ausstellungsmacherinnen in die Inszenierung einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, die historischen Stereotypen mexikanischer Weiblichkeitsbilder in Gestalt einer Malinche, Coatlicue, Maria Felix, La Adelita oder auch Frida Kahlo einem deutschen Publikum zugänglicher und verständlicher zu machen.
Warum die deutschen Frauen in der Ausstellung unsichtbar bleiben, obwohl sie diese mit konzipiert und realisiert haben, erhellt der die Ausstellung ergänzende Katalog. In ihrem Beitrag Menuett im Spiegelsaal — Bilder und Projektionen schreiben drei deutsche Frauen über ihren Spaß und ihren Frust an der interkulturellen Arbeit und das immer lauernde schlechte Gewissen, sich erste-welt- mäßig und eurozentristisch zu verhalten. Diese Vorsicht ist heute mehr denn je berechtigt und angebracht, und doch muß man auch Todorev recht geben, wenn er im Hinblick auf Möglichkeiten des Dialogs mit dem Fremden schreibt: »Man kann den anderen nicht lebendig werden lassen, wenn man ihn ganz unangetastet läßt.« Barbara Beck
Mexiko — Stadt der Frauen im Haus der Kulturen der Welt, veranstaltet von der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst e.V. Berlin, bis zum 19. Januar 1992, di.-do. 14-18 Uhr, fr.-so. 10-20 Uhr.
Im Rahmenprogramm der Ausstellung findet vom 6.-8.12. im Haus der Kulturen der Kongreß: Frauen in der Metropole: Mexiko- Berlin statt. Außerdem gibt es bis zum 9. 2. 1992 eine Filmreihe, in der ausschließlich Filme von mexikanischen Filmemacherinnen gezeigt werden.
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