: KOSLOWSKIS GITTA PLAUDERT VOM SOFA
Schaller geht es wieder besser. Natürlich wird es nicht lange anhalten, weil es sich nur um ein sehr oberflächliches Glücksgefühl handelt, was man daran erkennen kann, daß er neulich sogar bei der Lindenstraße lachen konnte, obwohl doch da jetzt auch ein prekärer Stasi-Fall enthüllt wird, daß nämlich die sächsische Blumenhändlerin, die dauernd den armen Beimer-Benny von der Akademiker-Karriere abhält, wahrscheinlich auch bei der Firma war. Lachen mußte Schaller über die Einfallslosigkeit bei der Besetzung ihres Führungsoffiziers, der kurz vor Schluß auftauchte: „Wenn die doch bloß mal so Scheiße ausgesehen hätten wie der, dann hätte es doch nie sowas wie Mitarbeiter aus Liebe gegeben...“ Ich kann da gar nicht drüber lachen, weil ich erstens denke, daß Schaller gar nicht mehr merkt, wie sich seine Ästhetikkriterien verändert haben, seit er mit mir zusammen ist, und weil ich zweitens so etwas wie nagende Zweifel verspüre, was meinen kleinen süßen Ostmann angeht, wie ER denn eigentlich so über die Jahre gekommen ist. Ich meine, von der Blumenhändlerin hätte man das ja auch nicht gedacht, oder? Ich weiß nicht, wie ich ihn fragen soll. Aber schon freut sich mein Ossi wieder über die Weltlage, weil er jetzt gehört hat, daß Kennedys Verteidiger Roy Black heißt. „Wer hätte das gedacht, daß das mit der Reinkarnation so flott geht“, sagt er altklug, obwohl er das Wort erst richtig seit zwei Tagen aussprechen kann. Was ihn allerdings störte, war die Live- Übertragung der Zeugenaussage des Vergewaltigungsopfers. „Das gehört sich doch nicht“, meint er, genauso wie er sich auch bei diesen Stasi-Auseinandersetzungen immer so geniert wie die Politiker bei den rassistischen Ausschreitungen. Aber das ist wohl so üblich bei den Deutschen. Ich hab' ihm natürlich wegen seiner protestantischen Verdruckstheit sofort Paroli geboten: „Das ist hier immer so, man nennt das Demokratie oder das sogenannte ,Ted‘-Verfahren — die Zuschauer können entscheiden, wen sie besser finden —, und seitdem die Kennedys so häßlich geworden sind, werden sie keine guten Karten mehr haben.“ Irgendwann hab' ich ihm aber doch mal in einer netten Stunde gesagt, daß auch von mir zu ihm so ein Mißtrauen gärt. Da hat mein gelehriger Freund doch sogleich wieder ein Zitat zur Hand, was er mir mit hochgezogenen Augenbrauen und bedeutungsschwangerem Triumph in der Stimme vorliest: „Es gibt verschiedene Methoden, sich schwierigen Themen zu nähern. Bei der einen werden Tatsachen höher bewertet als der Glaube. Das nannte man bislang ,wissenschaftlich‘. Die moderne Wissenschaft hat jetzt aber herausgefunden, daß oft erst eine Tatsache durch den Glauben entsteht. Quantenphysiker wissen: Wenn sie von einem Partikel erwarten, daß er sich wie eine Welle benimmt, tut er es auch. Wenn sie erwarten, daß er sich wie ein Punkt benimmt, paßt er sich gleicherweise ihren Vorstellungen an. Jede Methode, die Welt zu beobachten, verändert unsere Wahrnehmung von ihr.“ Manchmal ist Schaller ganz schön raffiniert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen