: Mit freien Rubeln in den Handelskrieg
■ Der russische Finanzminister Gaidar kündigte ein Reformpaket an: Konvertierbarkeit der Währung ab Neujahr und Preisfreigabe ab 16. Dezember/ Außenwirtschaftsbank beantragt offiziell G-7-Beistand
Berlin (taz/dpa) — Mit einem Reformpaket, das der russische „Superminister für Wirtschaft und Finanzen, Jegor Gaida, am Mittwoch in Moskau bekanntgab, sollen Inflation und Staatsverschuldung eingegrenzt werden. Nach den bislang bekanntgegebenen Einzelheiten wird sich dadurch die Lage der Bevölkerung weiter verschlechtern und die Spannungen zwischen Rußland und den anderen Republiken extrem verstärken.
Minister Gaidar, der seit der Unterstellung des sowjetischen Finanzministeriums unter die russische Regierung faktisch der wichtigste Wirtschaftspolitiker in Moskau ist, kündigte den Nachrichtenagenturen 'RIA‘ und 'Interfax‘ zufolge an, daß zum 1. Januar 1992 der Kommerzkurs in Rußland abgeschafft wird, der für die Handelsgeschäfte mit dem Ausland gilt. Damit wird der Rubel frei konvertierbar. Am 16. Dezember werden in Rußland die Preise grundsätzlich freigegeben. In Rußland sollen zudem zwei Monate lang 30 Prozent der Gehälter von Arbeitern und Angestellten bei den Banken eingefroren werden; diese Maßnahme gegen den Rubelumlauf könnte laut 'Tass‘ bis Ende März verlängert werden, ist aber noch nicht vom Parlament verabschiedet.
Schon die Folgen der Preisfreigabe werden verheerend sein, weil, vom Agrarmarkt abgesehen, weite Teile der Wirtschaft von Produktionsmonopolen beherrscht sind. „Das Preisdiktat wird normal“, kommentierte Peter Sigmund, UdSSR-Experte beim Institut für Angewandte Wirtschaftswissenschaften (IAW) in Berlin. Während für die Bevölkerung wenigstens Ausgleichszuschläge diskutiert würden, herrsche bei den Betriebspreisen Funkstille. Dabei könnte durch die Preisfreigaben und die anschließende Pleitewelle eine Arbeitslosigkeit von 30 Prozent entstehen.
Die Konvertierbarkeit des Rubel hat ebenfalls kaum zu übersehende Folgen. Am Montag, als der Touristenkurs freigegeben wurde, verdreifachte sich der Wert des Dollars auf 130 Rubel. Zugleich aber wurde der Devisenverkauf an SU-BürgerInnen weitgehend eingestellt, so daß wieder ein unrealistischer Kurs entstand, der jetzt einen erheblichen Verknappungszuschlag enthält.
Gaidar will nun einen Wechselkurs von 1 zu 18 bis 20 anstreben und den Kurs mit Rubelkäufen gegen Devisen hochtreiben. Die Union hat aber praktisch keine Devisen mehr; am Donnerstag hat, wie zu erwarten war, die Außenwirtschaftsbank ihre Schuldentilgungen an den Westen eingestellt, und das G-7-Beistandspaket ist in Kraft getreten. Um nun einen 1:20-Kurs zu verteidigen, will Gaidar mit westlicher Hilfe einen Währungsfonds einrichten, der mit Devisenverkäufen den Rubelkurs hochtreiben soll. Doch diese Alimentierung ist bei den westlichen Industrieländern auf Kopfschütteln gestoßen. Der Kommerzkurs (Dollar gegen Rubel), der bislang noch nicht abgeschafft ist, liegt derzeit bei 1 zu 1,8.
Weniger für den ständig abnehmenden Handel mit dem Devisen- Westen, sondern für den innerrepublikanischen Warenverkehr ist er von großer Bedeutung. Bislang, zu Kunstpreisen, hatte Rußland gegenüber den Republiken ein kleines Außenhandelsplus von 200 Millionen Rubel. Würden für alle Waren Weltmarktpreise verlangt und sie dann zum Kommerzkurs umgerechnet, schnellte das Plus auf 33 Milliarden Rubel hoch; mehr als 10 Milliarden Rubel müßte allein die Ukraine mehr bezahlen. Würde dann noch zum Preis von 1:130 umgerechnet (Experten fordern einen Kurs von 1:6), ergibt sich ein nicht mehr diskutierbarer Betrag. Dietmar Bartz
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