: Bundeskanzler Kohl: »Alle Eier zu mir!«
■ Der Bonner Regierungschef protestiert gegen Eierwurf-Aktion morgen am Brandenburger Tor/ Warnung vor außenpolitischen Konsequenzen
Berlin/Bonn/Halle. Das Bonner Bundeskanzleramt hat sich gestern empört über ein geplantes Volksvergnügen am Brandenburger Tor geäußert. Ein Sprecher warnte vor »außenpolitischen Konsequenzen« und teilte mit, daß sich der Bundeskanzler »in seiner persönlichen Würde verletzt« fühle. Bei der Aktion am Dienstag will der niedersächsische Künstler Reinhard Schamuhn eine Nachbildung des früheren DDR- Staats- und Parteichefs Erich Honecker für Eierwürfe freigeben. Für den Wurf auf den Gips-Zement-Honi wird Schamuhn Eier für 89 Pfennig anbieten. Das geplante Happening nennt er eine »satirische Befreiungsaktion«.
Ein Sprecher des Kanzlers bezeichnete dies als »willentliche Irreführung des Volkes«. Schließlich bräuchten sich die Bürger der früheren DDR nicht ständig und immer wieder selbst zu befreien. Der Sprecher appellierte an das Verantwortungsbewußtsein der Berliner. Zwar sei eine gewisse Ungeduld gerade der neuen Bundesbürger vor dem Hintergrund des schleppenden Auslieferungsverfahrens von Honecker verständlich. Durch solche emotionalen Aktionen könne jedoch für die Sowjetunion der falsche Eindruck entstehen, dem ehemaligen DDR- Staatschef werde bei einer Rückkehr kein faires Verfahren vor deutschen Gerichten garantiert.
Wie die taz aus dem Umkreis des Kanzlers ergänzend erfuhr, möchte Kohl auch dem Eindruck entgegentreten, daß er sich — nach den historischen Eierwürfen von Halle — seinen hart erworbenen Märtyrerbonus von Nachbildungen totalitärer Politiker nehmen lasse. Eine konträre Stellungnahme ließ gestern CDU-Generalsekretär Volker Rühe verbreiten. Er forderte die Bürger Ost-Berlins auf, an der Honi-Nachbildung »schon einmal für den Ernstfall Maß zu nehmen«. Außerdem sei für die Zukunft »Kreativität« gefragt: »Faule Bananen wird es da drüben doch nun hoffentlich genug geben.« Zudem seien die Bananen eine gewaltfreie Alternative zu Eiern von gequälten Hühnern aus der früheren SED-Massentierhaltung.
Die beiden großen Kirchen meldeten ebenfalls Bedenken an. Sie kritisierten, daß die Betonnnachbildung Honecker als Rothaut im Lendenschurz mit Adventskranz aus Stacheldraht auf der einen und als Brillenträger auf der anderen Seite zeige. Neben der Verhöhnung von ethnischen Minderheiten und sehbehinderten Mehrheiten würden auch die religiösen Empfindungen von Millionen Gläubigen verhöhnt. Schnöde Parallelen zwischen Stacheldraht und der Dornenkrone Christi seien nicht einmal durch die im Grundgesetz festgeschriebene Freiheit der Kunst gedeckt.
Trotz der Kohl-Kritik will der Künstler an seiner Absicht festhalten. Er blieb gegenüber der taz bei seiner Auffassung, daß nicht nur die Bürger von Halle »viel lieber einen ganz anderen als Kohl mit den Hühnerprodukten beschmissen hätten«. Den Erlös der Eierwürfe will er zugunsten der »Sommerfestspiele 1992 für ein vereintes Europa« zur Verfügung stellen. Aus Maastricht hieß es dazu gestern, daß man daran denke, den EG-Eierberg auf den Potsdamer Platz zu verlegen. Der Verkauf des Grundstückes an Sony und Deimler sei nach EG-Maßstäben ohnehin rechtswidrig. Die eilige Henne
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