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Union von Minsk, Kiew und Moskau?

■ Führungen von Rußland, Weißrußland und Ukraine berieten bei Brest/ Heute Treffen mit Gorbatschow

Minsk (ap) — Die politischen Führungen Rußlands, Weißrußlands und der Ukraine erwägen nach einem Treffen in Wiskuli bei Brest die Bildung einer Union zwischen den drei slawischen Republiken der alten Sowjetunion. Beobachter teilten nach den Beratungen vom Samstag mit, es sei noch nicht klar, ob es sich um eine politische Union oder um einen rein wirtschaftlichen Zusammenschluß handeln werde. Die Gespräche zwischen dem russischen Präsidenten Boris Jelzin sowie seinen ukrainischen und weißrussischen Kollegen Leonid Krawtschuk und Stanislaw Schuschkewitsch sollten gestern abgeschlossen werden. Heute wollen sich die drei Politiker mit dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow treffen.

Jelzin hatte vor dem Treffen in Wiskuli Minsk besucht und mit der weißrussischen Regierung über die künftige wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit beraten. Offiziellen Angaben zufolge unterzeichneten beide Seiten ein Wirtschafts- und Handelsabkommen.

Jelzin hatte vor dem Parlament in Minsk gesagt, um den von Gorbatschow angestrebten Unionsvertrag stehe es derzeit nicht gut. Rußland stehe zu seinem Wort und wolle den Vertrag unterzeichnen. Sollte die Ukraine diesem Schritt aber nicht folgen wollen, werde es eine Reihe von Problemen geben.

Bei dem Treffen in Minsk hatte Jelzin auch die Absicht bekräftigt, daß Rußland am 16. Dezember die Preise freigeben werde. Für die schlechte Versorgungslage besonders in Moskau und anderen großen Städten machte der sowjetische Ministerpräsident Iwan Silajew am Samstag ausbleibende Lieferungen aus dem Umland verantwortlich. Die wichtigsten Lieferanten in den russischen Provinzen und Regionen lieferten nur die Hälfte dessen, was sie ursprünglich zugesagt hätten. Die sowjetische Führung hat Silajew zufolge ein Dekret erlassen, wonach es den Regionen in der Sowjetunion künftig untersagt ist, untereinander Lieferabkommen zu vereinbaren. Der Moskauer Stadtrat sei ermächtigt worden, 15 Prozent der in Moskau produzierten Güter gegen Lebensmittel aus anderen Regionen einzutauschen.

Generalstabschef abgelöst

Moskau (dpa) — Der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow hat den Generalstabschef der Streitkräfte der UdSSR, Armeegeneral Wladimir Lobow, am Samstag per Dekret abgelöst. Wie sowjetische Nachrichtenagenturen meldeten, berief Gorbatschow den bisherigen Kommandeur des Leningrader Wehrkreises, Generaloberst Viktor Samsonow, an die Spitze der sowjetischen Streitkräfte. Ein Sprecher des sowjetischen Verteidigungsministeriums bezeichnete die Entscheidung als „nicht unerwartet“. Wie 'Interfax‘ unter Berufung auf nichtoffizielle Militärkreise meldete, hat Lobow selbst um seine Ablösung gebeten. Sie stehe im Zusammenhang mit der jüngsten Entscheidung der Ukraine für die vollständige staatliche Unabhängigkeit sowie ähnlichen Ereignisse in anderen Republiken, die die zukünftige Existenz von einheitlichen sowjetischen Streitkräften gefährdeten. Ein Sprecher des Präsidenten sah den Schritt „im Zusammenhang mit dem weiteren Umbau der Kommandostruktur der Streitkräfte, die vor neuen Aufgaben stehe“. Ein Mitarbeiter des Präsidentenstabes meinte, Lobow sei für seine „einigermaßen konservativen Ansichten“ bekannt gewesen.

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