: Schau nach Osten, nicht nach Westen
■ Japans unaufhaltsamer Vormarsch hat Südostasien zum Boom verholfen und wirtschaftlich abhängig gemacht
Manila (ips) — Der Angriff auf die US-amerikanische Marinebasis in Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 war der Höhepunkt der militärischen Eroberungsstrategie Japans in Ostasien. 50 Jahre danach ist in der Region eines nicht zu übersehen: Tokio mag den Krieg verloren haben, der folgende Frieden allerdings wurde gewonnen. Jeden Tag fluchen in Bangkok Hunderttausende Autofahrer über Asiens größtes Verkehrschaos. Was die Straßen der thailändischen Metropole nicht mehr zu fassen vermögen, sind ganze Flotten von Toyotas, Hondas, Nissans, Mazdas, Suzukis oder Daihatsus. Wer sich 1.500 Kilometer weiter südlich von der Skyline des wohlhabenden Stadtstaates Singapur beeindrucken läßt, steht staunend vor den Werken japanischer Ingenieurs- kunst.
Mit den Exporten kamen auch Menschen. Japanische Kolonien gibt es nicht nur in Singapur, wo sie auf etwa 20.000 Menschen geschätzt wird. In Kuala Lumpur gehen japanische Kinder in japanische Schulen, und ihre Väter spielen auf von japanischen Unternehmern angelegten Golfplätzen rund um die malaysische Hauptstadt.
Weniger Bewunderung erregen andere Spuren der wirtschaftlichen Vorherrschaft Tokios in der Region. Die kahlen, entwaldeten Hügel auf den Philippinen, Tausende Quadratkilometer verwüsteten Landes in Malaysia oder Indonesien zeugen vom gewaltigen Rohstoffbedarf der boomenden Wirtschaft im Land der aufgehenden Sonne. 70 Prozent des Tropenholzeinschlags auf dem philippinischen Archipel gingen in seine Heimat, versichert der japanische Umweltschützer Youichi Kuroda.
Die wirtschaftliche Eroberung Ostasiens durch Japan nach dem Zweiten Weltkrieg ist letztlich nur eine akzeptierte Version der „Gemeinsamen Wohlstandssphäre im Größeren Ostasien“, die die Herrscher Nippons ursprünglich durch militärische Gewalt herbeizwingen wollten. Der Einfluß des Wirtschaftsgiganten aus dem Norden ist deswegen nicht weniger entscheidend.
Investitionsmotor für die ganze Region
Japan ist der größte ausländische Investor, die wichtigste Quelle ausländischer Hilfe und der Motor, der den Außenhandel in der Region ständig auf rekordverdächtigem Wachstumskurs hält. Von 1975 bis 1989 stiegen die japanischen Direktinvestitionen in neun ostasiatischen Schlüsselländern (Indonesien, Hongkong, Singapur, Südkorea, Thailand, Malaysia, China, Taiwan und die Philippinen) von vier auf 40 Milliarden US-Dollar.
Während Unternehmen aus den USA und Europa in Ostasien nach wie vor vergleichsweise zaghaft operieren, dürften die Investitionen aus Japan auch in den 90er Jahren ihren Wachstumstrend fortsetzen. Schon bisher hatte der stetige Kapitalstrom und der Export japanischer Technologie großen Anteil am wirtschaftlichen Aufstieg der Region, die noch vor 40 Jahren zur Armut verurteilt schien. Kaum war der erste Wiederaufbau des eigenen Landes nach dem Krieg abgeschlossen, besann sich die japanische Wirtschaft ihres Umfelds. Waren es in den 60er und 70er Jahren die vier „Tiger“ — Taiwan, Hongkong, Singapur und Südkorea—, die davon profitierten, folgte in den 80er Jahren mit Thailand, Indonesien und Malaysia die nächste Generation ostasiatischer Schwellenländer.
Doch von einer gleichberechtigten Partnerschaft kann nicht die Rede sein. Das enthüllt schon ein erster Blick auf die Handelsstatistik. Taiwan und Südkorea, selbst unter den weltgrößten Exportnationen, erwirtschaften mit Tokio riesige Handelsbilanzdefizite. 1990 importierte Taiwan für 7,7 Milliarden US-Dollar mehr aus Japan, als es dorthin ausführte. Dieses Jahr dürfte der Negativrekord mit neun Milliarden US- Dollar noch übertroffen werden.
Beide Länder kämpfen mit der sich immer wieder öffnenden technologischen Lücke zum großen Vorbild. Für 70 Prozent des südkoreanische Handelsdefizit sind Importe von Maschinen und Industrieanlagen verantwortlich. Die aktuellen Bemühungen um mehr Ausgeglichenheit treffen aber auf ein Japan, das die von Finanzskandalen erschütterte Wirtschaft gerade über eine neue Exportoffensive beleben will.
Anstatt die mächtigen Handelspartner im Westen weiter zu provozieren, konzentriert sich Tokio dabei auf die „eigene“ Region. Japans Handelsbilanzüberschuß mit den vier Tigern überstieg bereits in den ersten drei Quartalen des laufenden Jahres jenen gegenüber den USA.
Die Nachbarländer haben also allen Grund, auf die Durchsetzungsfähigkeit der zweitgrößten Wirtschaft der Welt zumindest besorgt zu reagieren. Trotzdem tut dies der allgemeinen Bewunderung des japanischen „Modells“ in der Region genausowenig Abbruch wie zuvor die schlimmen Erfahrungen mit der japanischen Besatzungsmacht im Zweiten Weltkrieg.
Vom Osten lernen als Leitmotto
Die Eliten in Singapur und Malaysia sind nicht nur von Japans Stärke fasziniert, sondern auch von seiner kulturellen Eigenständigkeit. Für den Premierminister Singapurs, Goh Chok Tong, gelang es den Japanern geradezu beispielhaft, das Beste der westlichen Technologie zu absorbieren, ohne ihre Identität aufzugeben. „Schau nach Osten“ ist auch das Motto des malaysischen Premierministers Mahathir Mohammad.
Daß sich die wirtschaftliche Vorherrschaft Tokios mit neuerlichem Militarismus verbinden könnte, scheint dabei kein Thema zu sein. Als die philippinische Präsidentin kürzlich darauf angesprochen wurde, überging sie die Frage. Man sei sehr dankbar für die Finanzhilfe aus Japan, beteuerte sie statt dessen. Tokio liefert immerhin 40 Prozent der gesamten ausländischen Wirtschaftshilfe für den Inselstaat. Ramon Isberto
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