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Diätenfreunde ziehen eilig die Notbremse

Hamburgs SPD und CDU stoppen bereits verabschiedete Diäten-Erhöhung/ Reaktionen gaben den Ausschlag  ■ Aus Hamburg Florian Marten

Bleich und nur mühevoll gefaßt traten in der Nacht von Freitag auf Samstag drei sozialdemokratische Herren in dunklen Anzügen vor die Medien. Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau, SPD-Landeschef Helmuth Frahm und Günter Elste, SPD-Fraktionschef in der Bürgerschaft, warteten mit einer politischen Sensation auf. Das Trio kündigte an, das kurz zuvor vom Landesparlament mit mehr als 80 Prozent der Stimmen endgültige Gesetz zur Erhöhung der Abgeordnetendiäten wieder zurückzuziehen und ein bereits 1987 einstimmig verabschiedetes Gesetz zur Erhöhung der Senatoren-Renten zu kassieren.

Damit hat ein politisches Erdbeben, dessen Wellen von Tag zu Tag heftiger geworden waren, ein überraschendes Ende gefunden. Überraschend deshalb, weil jeder einzelne des Trios sich in den Wochen zuvor vor das Gesetz gestellt hatte. Fraktionschef Elste, weil er einer der Hauptbegünstigten gewesen wäre, Stadtchef Voscherau, weil „eine Regierung eine Regierungsfraktion braucht“, und Parteichef Frahm, weil er ein Auseinanderbrechen der Fraktion und Neuwahlen fürchtete.

Politischer Frieden war in Gefahr

Am Freitag abend im passenden Ambiente des Phönixsaales im Hamburger Rathaus (Wandinschrift: „Neues Leben blüht aus den Ruinen“) zählte das alles nicht mehr. Die plötzliche Erkenntnis, zu der sich das Trio am Freitag in einem Krisensitzungsmarathon schließlich durchrang: „Der politische Frieden in Hamburg ist in Gefahr.“ Denn: „Wichtige Elemente dieses Gesetzes treffen in breiten Kreisen der Bevölkerung auf Unverständnis und entschiedene Ablehnung.“

Nicht das Gesetz, so Fraktionschef Günter Elste, sondern die Reaktion der Öffentlichkeit war nach Meinung der Politiker falsch: „Ich halte die wesentlichen Inhalte des Gesetzes auch heute noch für angemessen und vertretbar.“ Ausschlagebend für den Sinneswandel der Hamburger Sozis, deren Binnenleben nach wie vor von Wagenburgmentalität geprägt ist, wie parteiinterne Kritiker beklagen, war denn auch allein der Posteingang in der Hamburger SPD- Zentrale: Knapp 400 Parteiaustritte allein in der letzten Woche und die heftige Schelte der Bonner Genossen Vogel, Blessing und Klose gaben den Ausschlag. Und: Voscherau nutzte am Freitag mittag eine Pause des Krisenmarathons für eine Blitzbesuch in Lübeck und stimmte sein Vorgehen mit Björn Engholm ab. Voscherau, der als Bundesratspräsident Prestige aufgebaut hatte, das er in der Diätenfrage blitzartig wieder verspielte, wird bereits als möglicher Innenminister unter einem Bundeskanzler Engholm gehandelt.

Nicht Bedenken in der Sache, sondern die Sorge um den Machterhalt sorgte jetzt für die Umkehr. Dabei hatte es von Beginn der öffentlichen Diskussion nicht an warnenden Stimmen in Medien, Öffentlichkeit und Parteien gemangelt. Drei vermutlich verfassungswidrige Elemente des Gesetzes hatten die Kritik auf sich gezogen:

— die Diätenerhöhung, die mit einer Rente von 2,5 Prozent pro Abgeordnetenjahr gekoppelt ist, sollte rückwirkend für alle 121 ParlamentarierInnen geben; langgediente Feierabendparlamentarier wären damit auf einen Schlag mit bis zu 2.000 Mark Rente versorgt worden,

— die Bezüge der Fraktionschefs und der Parlamentspräsidenten sollten 20.000 Mark brutto betragen, das Fünffache der Abgeordneten-Diätenbetrage,

— schon nach dreieinhalb Jahren hätten die Fraktionschefs Rentenansprüche von monatlich bis zu 12.000 Mark erworben.

Nach der Auffassung einer Vielzahl von Verfassungsrechtlern hätte jeder dieser drei Punkte einer Überprüfung vor dem Bundesverfassungsgericht nicht standgehalten. Die Grünen und die FDP hatten den Gang nach Karlsruhe bereits angekündigt.

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