Rennwagen statt Kohlebagger für die Lausitz

■ Amerikanische Investoren wollen die 1.200-Seelen-Gemeinde Klettwitz mit einem Motodrom und 2.000 Arbeitsplätzen beschenken/ Gemeinderat erhofft sich Aufschwung/ Grüne und das Brandenburger Umweltministerium sind noch skeptisch

Klettwitz hatte Glück. Ohne Wiedervereinigung gäbe es das kleine Dörfchen in der Lausitz bald nicht mehr. Die Abrißbagger standen schon vor der Tür. Die 1.200-Seelen-Gemeinde sollte verheizt werden wie die Braunkohle, die in dieser Region nur wenige Meter unter der Erdoberfläche liegt.

Klettwitz lag im Bergbauschutzgebiet, Investitionen in die Infrastruktur hielt die ehemalige DDR- Regierung deshalb für überflüssig. Und so sieht es im Ort auch aus: finster. Viele Häuser sind verfallen, scharenweise verließen die Menschen — vor allem jüngere — das Dorf. Selbst die örtliche Feuerwehr ist kaum noch einsatzbereit. Wende und Wiedervereinigung stoppten den drohenden Abriß.

Der Wiederaufbau läßt allerdings noch auf sich warten. Bürgermeister Wilfried Brödno hat zwar schon sieben Anträge für privaten Hausbau auf seinem Schreibtisch liegen (»die gebürtigen Klettwitzer kommen zurück«), doch für einen Neuanfang ist das zu wenig. Mit rund sieben Prozent Arbeitslosigkeit steht der Landkreis Senftenberg rund um Klettwitz noch recht gut da, doch die Zukunft ist ungewiß. Die Kohleförderung soll allmählich eingestellt werden; die in dem Gebiet traditionell auf den Bergbau ausgerichtete Industrie beginnt schon jetzt zu schrumpfen.

Viele Menschen, die noch in Lohn und Brot stehen, sind ABM-Kräfte und werden somit spätestens 1993 entlassen. Neue Investoren werden gesucht, doch was hat die Region schon anzubieten? Nichts, außer riesigen Brachflächen und — Ideen. Und die können manchmal ziemlich verrückt sein: Auf einem Areal von gut 750 Hektar soll zwischen den Kommunen Klettwitz, Schipkau, Meuro und Horlitz ein Motodrom entstehen, sieben Hotels, eine Reitanlage, Tennisplätze, eine Schwimmhalle und mehrere Gewerbezentren. »So etwas ist einmalig in Europa« sagt Siegfried Fischer, Geschäftsführer der »Lausitz-Ring- Projekt GmbH«.

Ein zweites Indianapolis will seine Investorengruppe hier im südlichsten Zipfel Brandenburgs bauen, spätestens Juni 1994 sollen dann Indi-Carts, Tourenwagen, Trucks und Motorräder ihre Runden drehen. Sieben bis acht große Rennereignisse pro Jahr verspricht Fischer den Klettwitzern, zu denen bis zu 100.000 Besucher von nah und fern erwartet werden. Dazu sollen noch Nachwuchsrennen, Gocart-Rennen, Sicherheitstests für Autos sowie eventuell Konzerte und Sportereignisse kommen. Kurzum: Der Lausitz-Ring soll für die kommenden Jahre der Zuschauermagnet im Osten Deutschlands werden.

Das hoffen zumindest Siegfried Fischer, die Investoren, der Klettwitzer Bürgermeister und offenbar auch die Einwohner. Zu verlockend sind die 2.000 Arbeitsplätze, die rund um das Motodrom entstehen sollen. »Die sollen nicht nur, die werden auch entstehen«, sagt Fischer, der sich dadurch — nicht zuletzt in seiner Funktion als Klettwitzer Gemeinderat — einen Aufschwung für seinen Heimatort erhofft.

Pläne für eine Rennstrecke gibt es in der Gegend schon lange, doch erst im August vergangenen Jahres konnte an eine Umsetzung gedacht werden. Der Motorsportclub Senftenberg stellte einen entsprechenden Antrag, die Klettwitzer Ratsherren prüften die ganze Sache und fuhren dann — unter ihnen Siegfried Fischer — zum Nürburgring. Dort fanden sie das Erhoffte.

»Die ganze Region lebt vom Motorsport«, sagt der zum Geschäftsführer avancierte Gemeindevertreter, der damals beschloß: »Das werden wir auch versuchen.« Gutachten wurden erstellt, behördliche Stellungnahmen eingeholt, Partner gesucht und gefunden. Hinter der Projekt-GmbH steht nun die US-amerikanische »Interbuild-Group« und deren Frankfurter Tochter, die »Diener-Consult«. Hinter diesem Namen verbirgt sich, so Fischer, eine internationale Projektmanagement- Gruppe, die sich auf Planung, Finanzierung und Durchführung derartiger Großvorhaben spezialisiert hat.

Weitere Gesellschafter sind neben den beteiligten Gemeinden auch Privatpersonen und kleinere Investoren wie der technische Überwachungsverein Dekra. Angst, von den Amerikanern über den Tisch gezogen zu werden, hat Fischer nicht. »Wir haben eine sehr gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit« meint er und verweist auf ein wichtiges Faustpfand, das die beteiligten Kommunen noch in ihren Händen halten: den Grund und Boden.

Das ganze verplante Areal ist ehemaliges Bergbaugelände, nur unzureichend renaturiert und landwirtschaftlich kaum nutzbar. Es steht derzeit noch unter Treuhandverwaltung, die Kommunen hoffen jedoch, es — unentgeltlich — zurückzubekommen. Damit, so versichert zumindest Bürgermeister Brödno, der ebenfalls an der Projekt-GmbH beteiligt ist, hätten die Gemeinden gegenüber den Hauptinvestoren eine starke Position inne, die es ermögliche, ihre Interessen durchzusetzen. Gerade aber die weitgehend unbekannten Geldgeber sind es, die bei einigen Bürgern Unbehagen verursachen.

So etwa glaubt Dieter Röhrig, der im Nachbarort Schipkau für die Grünen im Gemeinderat sitzt, daß Bürger und Gemeindevertreter noch viel zu wenig über die Dimensionen und Hintergründe dieses Projektes informiert seien. »Hier wird mit der Angst und der Hoffnung der Menschen gespielt«, sagt Röhrig, der weder die 2.000 Arbeitsplätze noch die von den Investoren zugesicherte Umweltverträglichkeit des Projektes für realistisch hält.

Er befürchtet Lärmemissionen, die auch durch Schutzwände nicht von den nahegelegenen Ortschaften abgehalten werden können, sowie die Ausrottung von seltenen Tier- und Pflanzenarten, darunter den heimischen Orchideen. Bislang habe es in der Bevölkerung zwar kaum Widerstand gegen das geplante Motodrom gegeben, ein allgemeines Unwohlsein und Mißtrauen glaubt Röhrig dennoch zu verspüren. Nur: Die Leute im Ort haben andere Sorgen. Und 2.000 Arbeitsplätze will schließlich letztendlich auch niemand auf dem Gewissen haben.

Nicht eben begeistert von dem ganzen Vorhaben zeigt sich auch Florian Engels, Pressesprecher des brandenburgischen Ministeriums für Umwelt und Raumordnung. »Freizeitparks haben wir mittlerweile genug«, meint er und befürwortet, besonders aus raumplanerischen Gründen, eine eher mittelständische Ausrichtung der Wirtschaft in der Region. Allerdings hat er auch Verständnis für den Wunsch der Kommunen, möglichst schnell an Investitionen zu kommen. Nur sollten dabei die Belange des Umweltschutzes nicht zu kurz kommen. Seit August läuft das Raumordnungsverfahren, geprüft werden die Auswirkungen auf den Wasserhaushalt, der Emissionsschutz, die Verkehrsanbindung und die Standfestigkeit des Bodens.

Geklärt ist dabei noch längst nicht alles, die zukünftigen Betreiber des Lausitz-Rings müssen »noch etliches nachbessern«, sagt Engels. Vor allem Fragen der Finanzierung müßten noch geklärt werden. Obwohl das eigentlich im Raumordnungsverfahren nicht vorgesehen ist, drängt das Brandenburger Ministerium darauf, in diesem Punkt Klarheit zu bekommen. Das dürfte schwierig werden, denn, so sagt der Pressesprecher: »Wir kennen die Investoren auch nicht.« Theo Weisenburger