: Straßenkampf in Steglitz
■ Warum der Dietrich-Schäfer-Weg vorerst nicht in Carl-Heinrich-Becker-Weg umbenannt wird
Jahrelang haben sich die Schüler der Steglitzer Fichtenberg- Oberschule dafür eingesetzt, daß die Straße, in der die Schule liegt, einen neuen Namen bekommt. Der Grund: Im September 1934 haben die Nationalsozialisten die damalige Friedrichstraße nach dem Historiker Dietrich Schäfer (1845-1929) umbenannt. Schäfer lehrte an verschiedenen Universitäten, zuletzt in Berlin von 1903 bis 1921. Er war, das fanden die Schülerinnen und Schüler anläßlich ihres Schuljubiläums im Jahre 1983 heraus, einer der Wegbereiter des Nationalsozialismus.
Den Ersten Weltkrieg hielt er für einen gerechtfertigten Eroberungsfeldzug, denn die deutsche Einflußsphäre sollte nach Osten bis zum Dnjepr vorgeschoben werden. Schäfer war in fast allen Verbänden der wilhelminischen Ära aktiv, die eine nationalsozialistische und militärische Politik Deutschlands forderten: dem »Alldeutschen Verband«, dessen zweiter Vorsitzender er zeitweise war, dem »Ostmarkverein«, dem »Flottenverein« und dem »Wehrverein«.
Darüber hinaus war Schäfer ein Feind der parlamentarischen Demokratie und ein ausgewiesener Antisemit, der »rassenfremde Elemente« in Deutschland ausfindig machte wie »Heine, May, Lassalle«. Diesen bescheinigte er einen »jüdischen, scharfen, zersetzenden Verstand«. Die Schüler der Finkenkrugschule empfanden die Namensgebung der Straße als Skandal und forderten eine Umbenennung, die aber von der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Steglitz 1984 durch die CDU- Mehrheit abgelehnt wurde. Die Schüler ließen aber nicht locker, so daß es nach den Kommunalwahlen im Januar 1989 im Frühjahr desselben Jahres bei neuen Mehrheiten in der BVV zum Beschluß der Umbennung kam.
Nach dem Willen der BVV und des Bezirksamtes sollte der Kriegshetzer und Antisemit die Straßenschilder zugunsten von Carl Heinrich Becker räumen. Becker, der bis zu seinem Tod im Jahre 1933 in Steglitz ganz in der Nähe des heutigen Dietrich-Schäfer-Weges wohnte, war einer der profiliertesteten Kultur- und Schulpolitiker der Weimarer Republik.
Als preußischer Minister für Wissenschaft und Volksbildung in den Jahren 1921 und 1925 bis 1930 stand er für Reformen in der »Höheren Schule«, für ein Schulsystem mit verschiedenen Schulformen und für die studentische Selbstverwaltung an den Universitäten. Vor den immer stärker werdenden Nationalsozialisten zog sich der der Deutschen Demokratischen Partei nahestehende Politiker 1930 aus der aktiven Politik zurück.
Steglitz wird jedoch auf den »Carl-Heinrich-Becker-Weg« wohl noch einige Zeit warten müssen. Gegen die geplante Umbenennung hat der im Dietrich-Schäfer-Weg gelegene Buchverlag Duncker& Humboldt Widerspruch und im März 1991 auch Klage erhoben. Der Verlag ist der Ansicht, daß die Ansichten Schäfers nicht »im engen Sinne« nationalsozialistisches Gedankengut seien, da seine Ansichten damals einer allgemeinen Geisteshaltung entsprachen.
Sie lägen »auf der gleichen Ebene mit Gedankengängen, wie sie im Werk Martin Luthers, Richard Wagners und Leopold von Rankes« vorzufinden wären. Außerdem sei die Umbenennung der Straße eine »Enteignung« für den Verlag, denn schließlich sei das Unternehmen unter der jetzigen Adresse seit 1963 in aller Welt bekannt. Allen Geschäftspartnern jetzt die Änderung der Adresse mitzuteilen, würde »in die Tausende« gehen.
Wann das Verwaltungsgericht über die Klagen entscheiden wird, ist völlig offen. Besonders erfolgversprechend ist die Klage nicht. Bis zur endgültigen Entscheidung liegt die Umbenennung aber erst einmal auf Eis und kann nicht vollzogen werden.
Wenn die Bürger in den östlichen Bezirken spitzkriegen, wie die auch dort beschlossenen Umbenennungen aufgeschoben werden können, darf sich das Berliner Verwaltungsgericht schon heute auf zahlreiche Klagen wegen Straßenumbenennungen in ganz Berlin freuen. Jürgen Karwelat
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen