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Ein Druide der weltweiten Popmusik

■ Eine Ausstelung des Cover-Designers Jamie Reid im Kulturhaus Treptow

Ein Gespräch mit dem Engländer Jamie Reid zu führen, verläuft selten als nette, belanglose Plauderei. Der Mann denkt und arbeitet offensichtlich in anderen Sphären. Man fragt nach Punk und ist einen halben Satz später bei der Verbindung von Musik und Schamanismus, bei Kelten und Druiden angelangt: »Wenn du deine Arbeit ernst nimmst — egal welche —, dann fragst du unwillkürlich nach ihren größeren Zusammenhängen. Popmusik wird heute vielfach als belangloses Entertainment angesehen.

Ideologischer Drahtzieher hinter der Punkbühne

Aber Musik hat immer — aus ihren Wurzeln — eine Verbindung zum Magischen, zum Heilenden, und das ist neben dem Entertainment eine oft vergessene, aber wichtige Sache.«

Punk war in der Musik für Jamie Reid das bisher geeignetste Ventil, seine Ideen und Botschaften, über die Popszene hinaus zu verbreiten. Zusammen mit dem »Sex Pistols«-Manager Malcolm McLaren war Jamie Reid ideologischer Drahtzieher hinter der Punkbühne. Von ihm stammen Poster, Plattencover und viele der Sex-Pistol-Slogans: »In England wird zuviel in den Kategorien gedacht: ,Jamie Reid — aha: Pistols, Punkrock. Der Typ, der die Sicherheitsnadel durch das Gesicht der Queen steckte.‘ Aber die Punksache war nur ein kleiner Teil meiner Arbeit.«

Nach dem Ende der Punkbewegung — »Wir hätten gleich nach dem ,Silver Jubilée‘ aufhören sollen, da hatten wir alles erreicht, was möglich war« — wandte Jamie Reid seine dadaistischen und situationistischen Einflüsse nur noch sporadisch in der Popszene an. Im Plattenschrank sind seine Cover bei BowWowwow, Transvision Vamp, Cactus Rain und Boy George's Claus 28-Single zu finden.

Jamie Reid — der Postpunk-Disigner

Seit den achtziger Jahren arbeitet Jamie Reid wieder in seinem eigentlichen Metier, der Malerei. Neben seinen schroffen und direkten Punkmessages wirken seine heutigen Gemälde ruhig, meditativ. Die Worte »Universal Majesty-Verity Love Infinite« wiederholten sich darin beständig als Zeichensymbole, keltische und astro-archäologische Einflüsse mischen sich mit denen von William Blake, Carl Jung und Joseph Beuys.

Reid: »Ich wurde als Sozialist und Druide erzogen, was ja schon eine komische Mischung ist. Mein Großvater war in einem Druidenorden, was vor dem Ersten Weltkrieg weit verbreitet war. Druidentum ist eine Art westlicher Buddhismus. Es lehrt, Natur nicht auszunutzen, mit ihr in einer Form zu kommunizieren, die wir wieder verlernt haben. Wenn du im 21. Jahrhundert eine Zukunft erkennen willst, dann mußt du weit zurückgehen, um wieder vorwärts denken zu können. Da sehe ich für uns wirklich keinen anderen Weg.«

Mantras für das nächste Jahrtausend

Jamie Reid als abgedrifteten Esoteriker abzutun, wäre leicht, aber verblendet. Reid setzt seine »Mantras für das nächste Jahrtausend« sehr gezielt in unserer Gegenwart ein, mit Kampagnen gegen die britische Kopfsteuer genauso wie mit seiner Gestaltung von Studioräumen (Strongroom Recording Studio in London, wo u.a. Nick Cave und Marc Almond aufnehmen). »Es entwickeln sich zur Zeit wieder unglaubliche Subkulturen in dieser Welt«, so Reid, »die von der Presse kaum beachtet werden. Aber sie sind da, und sie tragen Botschaften, die für mich genauso aussagekräftig wie Punk waren. Ich denke in der Musik an das keltische Revival, von denen U2 ein indirekter Ableger sind. Oder die Raimusik in Algerien. Die Leute wagen wieder, universal zu denken. Denn letztendlich sitzen wir zur Zeit alle im selben Scheißhaus. Und da wird es Zeit, wieder Respekt für diesen Planeten zu gewinnen.«

Stephen Kingston

Johannes Paetzold

Jamie Reid , Ausstellung im Kulturhaus Treptow (U-Bahnhof Schlesisches Tor), Puschkinallee 5, noch bis zum 10. Januar 1992

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