: Deutscher Konsumrausch ist vorbei
■ Warenhäuser rechnen 1992 mit Stagnation im Einzelhandel/ Preisanstieg wird geringer als erwartet/ Einkaufstouristen aus Ostdeutschland fallen weg/ Abgaben schmälern Einkommen
Frankfurt/Main (dpa/taz) — In den Warenhäusern Westdeutschlands ist die Stimmung trotz Vorweihnachtszeit getrübt. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels (BAG) erwartet 1992 im Einzelhandel preisbereinigt eine Stagnation. Alles in allem rechne der Verband in Westdeutschland mit einer Ausweitung der Nominalumsätze von etwa drei bis vier Prozent, sagte BAG-Präsident und Karstadt-Chef Walter Deuss gestern in Frankfurt am Main. Zu dieser realen Stagnation trage unter anderem bei, daß der sogenannte Einkaufstourismus aus Ostdeutschland zurückgehe, da die Ostdeutschen jetzt verstärkt dort einkauften.
Die Kaufrausch-Stimmung bei den VerbraucherInnen in den alten Bundesländern habe „momentan das niedrigste Niveau seit 1982/83 erreicht“, sagte Deuss. Für die Eintrübung des Stimmungsbildes — das von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ständig ermittelt wird — machte er unter anderem den staatlichen Griff in die Tasche der VerbraucherInnen verantwortlich: „Weitere Abgabenerhöhungen, wie Tabaksteuer, Rundfunk- und Fernsehgebühren, kommunale Abgaben und möglicherweise die Krankenversicherungsbeiträge dürften kaum zu einer Verbesserung des Konsumklimas führen“, meinte Deuss.
Die Arbeitsgemeinschaft mit in Westdeutschland 1.850 Einzelhandelsgeschäften und 52 Milliarden DM Jahresumsatz hofft deshalb, daß es bei dem geplanten Wegfall des steuerlichen Solidaritätszuschlages zum 1. Juli 1992 bleibt. Auf der anderen Seite erwartet sie, daß die geplante Mehrwertsteuererhöhung Anfang 1993 gegen Ende des kommenden Jahres zu vorgezogenen Käufen vor allem bei hochwertigen Konsumgütern führen wird.
Relativ positiv sieht Deuss die Preisentwicklung im kommenden Jahr. Der noch im Sommer befürchtete „spürbare“ Preisanstieg dürfte weniger stark ausfallen. Auf der Basis eines Einkaufsvolumens von 40 Milliarden DM für solche Waren, die im 1. Halbjahr 1992 an die Kundschaft verkauft werden, bezifferte Deuss den Preisanstieg auf durchschnittlich 3,5 Prozent.
1991 werden die Umsätze im westdeutschen Einzelhandel im engeren Sinn — ohne die Umsätze des Kraftfahrzeug- und Mineralölhandels sowie der Apotheken — nominal um sechs (1990: 9,6) Prozent auf 572 Milliarden DM zunehmen. Nach Abzug der Preiserhöhungen ergebe sich damit ein reales Plus von knapp vier (7,1) Prozent. Der Löwenanteil dieser Zuwächse wurde im ersten 1.Halbjahr 1991 gemacht — mit dem Geld der Ostdeutschen, die viele ihrer Einkäufe noch in Westdeutschland tätigten.
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