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Heute Kohlehalde, morgen Park

Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscher Park sollen ganze Siedlungen modernisiert werden/ Gesunde Baumaterialien  ■ Von Sabine am Orde

Gelsenkirchen (taz) — Das einzig Neue bisher sind die roten Tonziegel auf dem Dach. Ansonsten ist die Zeit hier stehengeblieben. Das alte Zechenhaus in der Gelsenkirchener Gertrudstraße ist heruntergekommen: die Wände rissig und fast schwarz, verdreckt vom Kohlenstaub und mit Kreide bekritzelt. Der Putz bröckelt. Drei abgetretene Stufen. Die Klingel funktioniert nicht. Klopfen. Das Wohnzimmer ist vollgestopft mit beiger Polstergarnitur und zwei kleinen Tischen. Die braune Schrankwand ist bereits ausgeräumt, das Geschirr und Nippes in Pappkartons verstaut. „Wir sitzen schon seit einigen Wochen auf Koffern und Kisten“, sagt Christel Heinrich, „langsam wird's Zeit.“

Die Heinrichs müssen in eine Ausweichwohnung umziehen, denn hier wird modernisiert. „Verbesserung des Wohnstandorts Siedlung Schüngelberg“ heißt das Projekt im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscher Park (IBA). Es hat die Siedlung in Gelsenkirchen-Buer in eine Baustelle verwandelt: Die unter Denkmalschutz stehenden Zechenhäusern vom Beginn dieses Jahrhunderts mit 300 Wohnungen und 1.400 MieterInnen werden modernisiert, 200 weitere Wohnungen gleichen Stils samt Kindertagesstätte und Altenwohnungen werden ab Anfang nächsten Jahres ergänzt. Sie sind auf der Freifläche in der 1916 bis 1919 nur teilweise erbauten Siedlung geplant.

Auf der aufgeschütteten Halde der benachbarten Zeche Hugo, die, 50 Meter hoch, schwarz und scheußlich, die Siedlung im Südwesten begrenzt, sollen in Zukunft Gras und Bäume wachsen. Der ehemalige Lanferbach, jetzt stinkender Abwasserkanal, bekommt einen Deckel, daneben soll ein sauberes Bächlein plätschern. Außerdem suchen zwei alte Zechengebäude, Maschinenhalle und Werkstatt, noch eine neue Aufgabe.

In der von Zeche Hugo, Halde Rungenberg und Werksbahn eingeschlossenen Siedlung „ist jahrelang nichts gemacht worden“, sagt Christel Heinrich. Nun ist sie froh, daß sie „fließend warmes Wasser und ein richtiges Bad“ bekommt. Bisher hatte das Ehepaar nur eine selbsteingebaute Duschecke gleich hinter dem Wohnzimmer. Der Schornstein ist bereits weg, die Kohleöfen funktionieren nicht mehr. Zum Übergang heizt ein kleines Gasöfchen das Wohnzimmer, in Zukunft wird diese Aufgabe die Fernwärme übernehmen. Werner Heinrich: „Ich bin froh, wenn ich keine Kohle mehr schleppen muß.“

Ihren Garten, der vom Haus direkt bis zur Zechenmauer reicht, samt Kaninchenstall behalten die Heinrichs. Aber die wilde Gartenidylle zwischen Bohnen und Kohl hinter den Häusern geht verloren. Nach der Modernisierung gehört weiterhin zu jeder Wohnung ein Garten, doch neuaufgeteilt und verkleinert. Am Anfang der Gertrudstraße sieht man bereits das Ergebnis: die ordentlichen Rasenflächen mit Holzzäunen fein säuberlich voneinander abgetrennt, am Rand Fertiglauben aus Fichtenholz.

Mit Hilfe der IBA will das Land Nordrhein-Westfalen die Lebensbedingungen der Menschen im nördlichen Ruhrgebiet, dem Emscher- Raum, „ökologisch, städtebaulich und sozial“ verbessern, so steht es im Memorandum. Die IBA will alte Industrieanlagen umbauen, Landschaften erneuern und neue Standorte für die wirtschaftliche Entwicklung aufbereiten. Ehrgeiziges Ziel ist die „Entwicklung eines zusammenhängenden Landschaftsparks“ zwischen Duisburg und Dortmund.

Die Siedlung Schüngelberg ist eines der Lieblingsprojekte von IBA- Chef Karl Ganser. Am alten Torhaus geraten die IBA-Planer besonders ins Schwärmen. Das Vorzeigeobjekt der Siedlung ist bereits modernisiert: rote Tonziegeln, beige getünchte Wände, glänzende Regenrinnen. Die weißen Sprossenfenster werden von Blendläden umrahmt, im selben satten Grün lackiert wie die Türen. So ähnlich wird bald auch das Haus der Heinrichs aussehen. Alte architektonische Qualität wird mit modernen Bauanforderungen verbunden. Es wird „umweltverträglich modernisiert“, erklärt Wolfram Schneider, Projektkoordinator aus dem Gelsenkirchener Planungsamt. Deshalb bekommen die Heinrichs Fenster aus europäischem Nadelholz statt aus Plastik, Bodenbeläge aus Linoleum statt PVC und eine gute Wärmedämmung.

Außerdem werde, so Wolfram Schneider, „auf dem Schüngelberg ein Versickerungssystem erprobt, das einen vernünftigen Umgang mit Wasser fördern soll“: Unverschmutztes Regenwasser wird in die Gärten geleitet und versickert dort. Außerdem wird der saubere Teil des Lanferbaches verzögert mit Regenwasser gespeist.

Noch zahlen die Heinrichs 240 Mark für ihre 67 Quadratmeter große Wohnung mit Garten, nach der Modernisierung wird es das Doppelte sein. „Doch das ist bei meiner Rente zu verkraften“, sagt Werner Heinrich, der 40 Jahre lang auf der Zeche Hugo gearbeitet hat.

Heute wird die Siedlung von türkischen BewohnerInnen geprägt, die rund zwei Drittel der SchüngelbergerInnen ausmachen: türkische Jugendliche, die aus der Schule kommen, fahrradfahrende Kinder. Vor einer Tür sechs Paar Schuhe, um die Ecke ein türkischer Laden. Türkische Frauen bauen auf dem freien Land inmitten der Siedlung Bohnen und Zwiebeln an. Doch damit wird es bald vorbei sein: Hier werden die 200 neuen Wohnungen gebaut. Ersatzland gibt es nicht, trotz anfänglicher Versprechen. Mustafa Cetinkaya befürchtet, daß durch die Modernisierung türkische Familien aus der Siedlung vertrieben würden.

1969 kam der damals Achtjährige mit Eltern und Geschwistern aus der Türkei, der Vater begann als Bergmann auf der Zeche Hugo zu arbeiten. Der Geographie-Student mit Schwerpunkt Stadtplanung hat fast sein ganzes Leben auf dem Schüngelberg verbracht. Heute ist er Mitarbeiter der Wohn Bund Beratung, die, dem IBA-Anspruch gemäß, die BewohnerInnen an der Modernisierung beteiligen soll. „Wir machen die Mieter mit alten und neuen Plänen vertraut“, erklärt Mustafa Cetinkaya, „und versuchen dann, ihre Wünsche zu berücksichtigen.“ Besonders für die türkischen Familien sei dies wichtig, denn „bisher verlief die Planung weitgehend ohne Einbeziehung der türkischen Situation“. So seien die Wohnzimmer im Verhältnis zu groß, die Küchen zu klein geplant und nicht mehr miteinander verbunden. Die Küchen sind jedoch wichtigster Treffpunkt der Frauen. Weiter verkleinert werden sollten sie durch den Einbau der neuen Gäste- WCs zwischen Küche und Wohnzimmer. „Aber ein WC neben der Küche ist unvereinbar mit dem türkischen Reinheitsgebot.“ Sie werden nun hinter dem Wohnzimmer eingebaut.

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