piwik no script img

Wer viertelt den belgischen Haushalt?

■ Gälten die Gipfelbeschlüsse schon heute, dürften nur drei Länder in die Wirtschafts- und Währungsunion

Möglich ist es durchaus, aber noch keinesfalls sicher, daß 1997 oder 1999 die Deutsche Mark verschwindet. Denn der Eintritt in die letzte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) ist nur den Ländern gestattet, die strenge Kriterien erfüllen. So dürfen sie zwei Jahre lang keine Spannungen im Europäischen Wechselkurssystem verursacht haben. Erlaubt sind nur Schwankungen innerhalb schmaler Bandbreiten; erst recht ist es unzulässig, einen solchen Wirbel zu verursachen, daß der Währungskorb, aus dem die Ecu besteht, neu zusammengesetzt werden muß.

Für die D-Mark bedeutsamer ist gleich das erste der vier weiteren Kriterien, nämlich die Neuverschuldung. Sie wird in Prozent des Brutto- Inlandsproduktes (BIP) gemessen. Das BIP ist der Wert aller im Inland erzeugten Sachgüter und Dienstleistungen. Es unterscheidet sich vom bekannteren Bruttosozialprodukt (BSP) dadurch, daß es grenzüberschreitende Einkommen nicht berücksichtigt. Weil diese Einkommen im Vergleich zur wirtschaftlichen Gesamtleistung unbedeutend sind, ist der Unterschied zwischen BIP und BSP häufig nur minimal.

Bei der Neuverschuldung ist die BRD durch die Kosten der Einheit weit über ihr bisheriges Niveau hinausgeschossen und dürfte deswegen bei der WWU nicht mitmachen, wenn sie schon jetzt eingeführt würde. Mit fast fünf Prozent liegt sie derzeit deutlich über den vorgeschriebenen drei Prozent (siehe Tabelle). Bundesfinanzminister Waigel wird allerdings nicht müde zu behaupten, daß dieses Kriterium 1996 wieder erfüllt sei.

Überhaupt könnten derzeit nur drei Zahlungsmittel gegen die Ecu ausgetauscht werden: die Francs aus Frankreich und Luxemburg sowie die dänische Krone — ein seltsames Währungsgebiet, und selbst in bezug auf die dänische Gesamtverschuldung müßte man ein Auge zudrücken. Die Tabelle zeigt auch, wie himmelweit Länder wie Italien und Belgien von einzelnen Kriterien entfernt sind, von Spanien, Portugal oder Griechenland ganz zu schweigen.

Geradezu astronomisch hoch ist die Gesamtverschuldung in Belgien und Italien; hier schätzt die EG für dieses Jahr, daß bereits elf bzw. zehn Prozent aller Staatseinnahmen als Zinsen an die Banken gehen (BRD: rund 3,3 Prozent). Die Gesamtverschuldung darf 60 Prozent des BIP aber nicht überschreiten; um diese Maßzahl bis 1999 zu erreichen, müßte etwa der belgische Haushalt ab sofort um ein Viertel gesenkt werden, dabei aber die Steuereinnahmen gleich bleiben...

Bei der Inflationsrate verlangt die WWU, nicht mehr als 1,5 Prozent über den drei niedrigsten zu liegen; bei den Zinssätzen sind zwei Prozent erlaubt. Italien, Griechenland und Portugal haben auch hier praktisch keine Chance, die Kriterien zu erfüllen; als „Schwellenland“ ist hier eher Großbritannien noch ein Anwärter.

Das Vertrackte an den Meßgrößen ist, daß positive Veränderungen bei dem einen Wert oft negative Veränderungen bei den anderen zur Folge haben. So bedeutet eine Senkung der Zinssätze in der Regel eine Zunahme der Inflation, wenn der Staat nicht zugleich eisern spart — und das heißt im Klartext: Rotstiftpolitik bei Sozialleistungen, Subventionsabbau, gestrichene Fördermittel für die, die keine gute Lobby haben. Überhaupt sind Arbeitslosenzahlen, Verteilung des Volkseinkommens oder gar Einkommensteigerungen kaum mehr als variable Randgrößen für die Kriterien. Theoretisch kann selbst Griechenland WWU-Mitglied werden — nur wäre dann von der Erwerbsbevölkerung nicht ein offizielles Zehntel, sondern die Hälfte arbeitslos. Mindestens. Dietmar Bartz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen