: Fuzzy Logic: Pi mal Daumen
Mit der unscharfen Logik, dem Inbegriff der modernen Hightech, kommen die Computer dem gesunden Menschenverstand zwar sehr nahe, aber die Elektronenhirne haben damit so ihre Schwierigkeiten und geraten schnell an ihre Grenzen ■ Von Wolfgang Blum
Während im Fernen Osten jeder Fuzzy (sprich „fassi“) Logic als Inbegriff modernster Hightech kennt, können hierzulande nur die Eingeweihten mit dem Begriff etwas anfangen. Dabei ist die Idee, die dahintersteckt, gerade für den Laien äußerst einsichtig.
Bisher kannten Computer nur die duale Welt des ja und nein, wahr und falsch, die ihrem Innenleben — Strom ein und aus — am ehesten entspricht. Mit Fuzzy Logic, zu deutsch unscharfe Logik, lernen sie nun Grautöne als vielleicht, wahrscheinlich oder eher falsch kennen. Im Rechner werden sie als Zahlen umgesetzt: Null steht für falsch, eins für richtig, 0,2 dann etwa für vielleicht, 0,9 für sehr wahrscheinlich oder 0,7 für gut möglich. Und nicht nur beim Wahrheitsgehalt, auch bei quantifizierbaren Größen kann der Computer die unscharfe Logik relativieren: ziemlich groß, eher klein, fast ganz dunkel, mittelschwer und so weiter.
Solche ungenauen Begriffe prägen diedie menschliche Art zu denken. Erst unsere Fähigkeit, harte Fakten im jeweiligen Zusammenhang einzuschätzen und vage zu bewerten, versetzt uns in die Lage, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und damit in komplizierten Situationen Entscheidungen zu treffen.
Mit Fuzzy Logic kommen nun die Elektronenrechner dem gesunden Menschenverstand näher. Gleichzeitig wird dadurch der Einsatzbereich der Rechner erweitert. So galt beispielsweise bisher das Zementbrennen als nicht automatisierbar, weil der Einfluß der Steuergrößen auf den Prozeß und deren Wechselwirkung untereinander äußerst schwierig zu fassen ist. Deshalb muß der Brennvorgang von erfahrenen Technikern überwacht werden. Bereits seit einigen Jahren verkauft eine dänische Firma automatische Brennöfen, deren Fuzzy-Logic-Steuerung sogar bessere Qualität bei geringerem Energieverbrauch als bei herkömmlichen Anlagen garantiert. Der Grund für den Erfolg der „unscharfen Logik“ liegt darin, daß mit ihr die Überlegungen des Bedienungspersonals nachvollzogen werden können: „Wenn Druck und Temperatur sehr hoch sind, während der Sauerstoffanteil eher gering erscheint, verstelle ich den Lüftungsschieber ein bißchen nach links.“
In Japan regelt die Fuzzy Logic nicht nur das Brennen von Zement, sondern wird in den unterschiedlichsten Bereichen eingesetzt:
—Fotoapparate mit Autofocus stellen die Entfernung richtig ein, auch wenn das Motiv sich nicht in der Bildmitte befindet.
—Videokameras gleichen das Zittern der sie bedienenden Hand automatisch aus.
—Die U-Bahn der japanischen Stadt Sendai wird sanft und auf den Milimeter genau beschleunigt und gebremst.
—In den Automatikgetrieben von Nissan-Autos wird der günstigste Schaltzeitpunkt berechnet.
Absoluter Renner sind aber die Haushaltsgeräte: Bei der Waschmaschine „Aisaigo“ — deutsch: „meine geliebte Frau“ — ertasten Sensoren Menge und Verschmutzungsgrad der Wäsche. Die Elektronik ermittelt dann mit Hilfe der unscharfen Logik das passende Waschprogramm.
Außerdem sorgt die neue Technologie für optimale Wassertemperatur beim Duschen, schaltet Mikrowelle und Reiskocher ab, wenn das Essen fertigt ist und regelt Staubsauger und Wäschetrockner.
Neben den vielfältigen Anwendungen in der Regelungstechnik hilft die Fuzzy Logic auch, „ungenaue Daten“ richtig zu interpretieren. So wurden beispielsweise Fuzzy-gesteuerte Geräte entwickelt, die handgeschriebene japanische und chinesische Schriftzeichen entziffern oder einfache gesprochene Sätze verstehen können.
Das größte Potential der unscharfen Logik liegt, so der Aachener UnternehmensforscherHans-Jürgen Zimmermann, in ihrer Anwendung bei Expertensystemen. Diese Systeme versuchen das Wissen und die Urteilskraft von Experten auf den Rechner zu bringen, damit das „know how“ von vielen gleichzeitig genutzt werden kann. Das am weitesten entwickelte deutsche Pilotprojekt „ask“ soll helfen, die Kreditwürdigkeit von Bankkunden zu beurteilen. Auch für die strategische Planung von Unternehmen oder für die medizinische Diagnose wird an Fuzzy-Expertensystemen gebastelt.
Die unscharfe Logik kommt dem menschlichen Verstand zwar nahe, aber Computer haben ihre Schwierigkeiten. Die duale Welt der Elektronenhirne kann die ungenauen Informationen nur mit einem enormen Rechenaufwand bewältigen. Auch die leistungsfähigsten herkömmlichen Chips geraten bei der Fuzzy Logic schnell an ihre Grenzen. Daher sind inzwischen spezielle Elemente, sogenannte Fuzzy-Chips, entwickelt worden.
Daß Fuzzy Logic ausgerechnet im Land der aufgehenden Sonne den Durchbruch geschafft hat, verwundert nicht. Ihre Grundzüge stammen von dem US-amerikanischen Elektrotechnik-Experten Lofti Zadeh, von der Berkeley-Universität in Kalifornien. In Japan gibt es sogar ein eigenes Institut für die „unscharfe Logik“. 1988 gründete das Ministerium für Internationalen Handel und Industrie das Laboratory for International Fuzzy Engineering, kurz LIFE genannt. Zudem verweisen die Fuzzologen des Fernen Ostens gern darauf, daß die neue Logik eher der asiatischen Philosophie entspricht als der westlichen. Hans-Jürgen Zimmermann schätzt den Vorsprung der Japaner auf etwa drei bis vier Jahre. „Durchaus einholbar“, urteilt er, „aber nur wenn wir uns in Deutschland verstärkt um eine Entwicklung dieser neuen Technologie kümmern.“
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