: Puszta-Sound mit Percussion
■ Das »Trio Stendhal« spielte akustischen Jazz in der Passionskirche
Früher war das erklärte Ziel aller nicht im Mainstream Musizierenden, »Hörgewohnheiten aufzubrechen«. Oder so. Inzwischen ist es kaum noch möglich, sich solche anzueignen. Kaum hat man beschlossen, daß Rave oder Post-Rave, Core oder Post-Core, Acid Jazz oder Fake-Jazz, Techno- oder Clubsoul und was es sonst noch alles an Etikettierungen gibt, nun das ultimative Ding des noch jungen Jahrzehnts sein soll, wird man unversehens mit musikalischen Ausprägungen konfrontiert, die man längst vergessen und überholt wähnte und die — vielleicht gerade deshalb — schon wieder den Reiz des Neuen besitzen.
So auch im Falle des ungarischen Trios Stendhal. Als Berufsbezeichnung gibt es »Acoustic Jazz« an, worunter man sich zunächst eine Kombination von Konzertgitarre, diversen Percussions und einem Altsaxophon vorzustellen hat. Stilistisch ergibt das meist recht lyrischen, harmonisch soliden Jazz, der sich zwischen Zigeunerfolklore, klassischen Anklängen und der unverbindlichen Schönheit von Ralph-Towner-Kompositionen bewegt, meist gefeatured durch Latin-Percussions.
Schon der Beginn des Abends — recht konzertant mit zwei Solostücken des Gitarristen — machte deutlich, wo Stärken und Schwächen solcher Verbindungen liegen: Spielfreude, Virtuosität und die Vermeidung harmonischer wie rhythmischer Redundanz — andererseits Fingerfertigkeit als Selbstzweck und endlose Stücke. Die Kirche gab zwar den passenden Rahmen für solche Verbeugungen vor Kunst und Kunstfertigkeit ab, Stimmung aber kam erst auf, als sich Percussions und Saxophon dazugesellten, zumindest zeitweise das Heft in die Hand nahmen und die Gitarre quasi überspielten. Letztere gefiel sich oft zu sehr in nachdenklicher Brechung von Rhythmen, was dem Bossa-Swing der Percussions keine zusätzliche Spannung verlieh, sondern eher neutralisierend wirkte. Das klang unangenehm nach Kopfgeburt bzw. nach lieblosen multikulturellen Versuchen. Sobald aber der Widerstand gebrochen war, entstand Platz für schöne und fast schon meditative Klangimpressionen des Saxophons, für sich allmählich steigernde Dynamik und wahres Zusammenspiel.
Ohne die Meisterschaft des Gitarristen Snetberger schmälern zu wollen: das schönste Stück des Abends bestand aus einem Zusammenspiel von Congas und Tenorsax, das den Willen zur stilistischen Vielfalt beiseite ließ und schlichten, melodischen Jazz bot. Vielleicht ist das dem Umstand geschuldet, daß Snetberger in Berlin wohnt, die anderen Musiker aber in Budapest leben. In Ungarn ist das Trio eine Starband, hierzulande fast unbekannt. Deshalb fand dieser bislang erste und exklusive Auftritt in Deutschland auch keine übergroße Resonanz. Michael Betz
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