ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Frauen samplen Frauen - Neues aus dem Schwarzamerikanischen Geschlechteralltag

Im Sommer letzten Jahres veröffentlichte die amerikanische Radical Communist Party eine Broschüre, die sich eigens dem Thema Sexismus im HipHop widmete. Die Popularität von Rap- Gruppen wie The 2 Live Crew oder NWA, die wegen ihrer Texte meist nur knapp am Sittenindex der Behörden vorbeischrammten, hatte eine regelrechte Welle von HipHop-Produktionen ausgelöst, in denen Sexismus als verkaufsfördernde Maßnahme funktionalisiert wurde. Den Höhepunkt erreichte diese Entwicklung zu einem Zeitpunkt, als sich in anderen Teilen der Szene ein deutlicher Trend zur Politisierung der Inhalte durchzusetzen begann und radikalere Gruppen wie Boogie Down Productions die für Schwarze immer noch aktuelle Forderung nach „Power“ im Motto Music For The People neu formulierten.

Mitten in diese Verlautbarung hinein erschien vor kurzem die Debut-LP der kalifornischen Rapperin YoYo. Es ist die erste feministische Platte des HipHop. Als Mitglied des Lench Mob um den ehemaligen NWA-Rapper (und jetzigen Black Nationalist) IceCube führt sie hier eine Radikalität vor, in der man ein weibliches Gegenstück zu Public Enemy sehen könnte. Wo es Public Enemy allerdings zunächst um nichts anderes geht, als das Schwarz-, Nigger- oder Randgruppen-Sein in Parolen und Haltungen eines afroamerikanischen Klassenkampfes zu übersetzen (vgl. ihre neue Single Can't truss It), bleibt für schwarze Frauen auch hier wieder ein grundsätzliches Problem ungelöst. Es ist das Problem der Man's World.

Die Verdoppelung des Underdog-Status schwarzer Frauen in einer um weiße und männliche Macht herum organisierten Welt ist auch für die politische Bewegung der US-amerikanischen Schwarzen bislang kein Thema. Eher im Gegenteil. „Issues like that are part of the mind-trap we have to fight“, erzählte unlängst der einen schwarzen Kulturnationalismus predigende Rapper Professor X., „we have no time for it.“ Sexismus im weitesten Sinn spielt in diesem Rahmen offenbar eine um so untergeordntere Rolle, je stärker die Bewegung die Notwendigkeit zur gemeinsamen politischen Aktion zum Maßstab macht. Feministische Ziele, die ja zwangsläufig erst einmal separatistisch sind (sofern sie nicht nur auf die Integration der „ideologischen Minderheit“ Frau abheben), werden dementsprechend gar nicht erst eingefordert.

Das gilt seltsamerweise auch für Rapperinnen, die ganz bewußt ihr Frausein thematisieren. Ihre Forderungen lösen sich selten von den Vorgaben einer archaisch anmutenden Weiblichkeitsideologie, in der die Black Woman zwar Göttin, Mutter, abstrakte Lebenskraft, in jedem Fall aber auch hirnlos und gefühlvoll ist. Daß diese schon im Roots Reggae verbreiteten Glaubensbekenntnisse heute von Rapperinnen wie Queen Mother Raga oder Isis als erstrebenswerte Ziele des Emanzipationsprozesses vorgetragen werden, klingt zumindest sonderbar. Ob sie die Marginalisierung schwarzer Frauen in der heutigen US-Gesellschaft bekämpfen helfen können, sei dahingestellt.

YoYo geht hier einen anderen Weg. Auf Titel wie Girl Don't Be No Fool erklärt sie lapidar, daß der Schritt vom Sex- zum Respekt-Objekt zwar ein Schritt zum besseren, nicht aber unbedingt zum unabhängigen Leben ist. Kleine Verbesserungen im gleichen Schema genügen eben nicht. Aus streng girlistischer Perspektive definiert sie Feminismus als eine Wir-lassen-uns- den-Spaß-nicht-verderben-Strategie, mit der sie sich konsequent den Rollen entzieht, die Gruppen wie The 2 Live Crew oder der X-Clan gleich dutzendweise für sie bereithalten.

Der musikalische Verweis auf Public Enemy, auf deren Aggressivität und die Dichte ihrer Produktionen ist dabei unüberhörbar. Der Wall Of Sound kleiner Nebengeräusche, in dem permanent Bruchstücke des öffentlichen Lebens — vom Sirenengeheul bis zum Fernsehspot — präsent bleiben, dient YoYo als atmosphärischer Hintergrund, von dem aus sie immer wieder Exkursionen in das Reich des schwarzen Girl- Group-Sounds startet. Unter dem Slogan „Frauen samplen Frauen“ läßt sie auf Sisterland die Siebziger-Jahre-Futuristinnen Labelle wieder auferstehen, zitiert Chaka Khans Ain't Nobody Better oder bedient sich für das Intelligent Black Woman's Anthem ausgiebig bei den Supremes. Was anderen Generationen der Stoff der Träume war, ist für sie das Material einer eigenen Geschichtsschreibung, in der sie gegen die abstrakte Konstruktion der Mutter aller Dinge das Girl als radikale Vorhut des HipHop feiert.

Eine ähnliche Tendenz läßt sich auch bei Queen Latifah ausmachen — trotz des Zitats von Warren Blakely auf dem Backcover ihrer neuen LP („The kingdom is possible because of the Queen“, heißt es da, „the King is the sign, while the Queen ist the symbol“). Von der Aura der strengen Würde befreit, die sie auf ihrer letzten Platte bis an die Grenze des Komischen begleitet, schlendert sie inzwischen eher auf poppigen Pfaden in Richtung Girl-HipHop. Da der Mythos vom Underground allerdings nach wie vor der Maßstab ist, an dem sich HipHop-LPs (zumindest hierzulande) messen lassen müssen, wird ihr die Popularisierung ihres Sounds natürlich den Mainstream-Vorwurf einhandeln. Obwohl sie im Grunde nichts anderes tut, als ihrer Vorstellung von Versatility, einer von den gängigen Klischees der Härte, Glaubhaftigkeit und Verbundenheit mit der Straße befreiten Musik, konsequent weiterzudenken. Dabei verbindet sie die widersprüchlichsten Stile zeitgenössischen Dancefloors (Swingbeat, House, Dancehall Reggae), verweist aber zugleich immer auf deren gemeinsamen Ursprung. Mit der seit jeher eindrucksvollsten Stimme des HipHop ist es für sie kein Problem, einen Zusammenhang zwischen Stücken wie dem an Madonnas Justify My Love erinnernden Ecstasy und Sexy Fancy, einem straighten Raggamuffin-Titel, herzustellen. Der kleinste gemeinsame Nenner bleiben die Geschichten aus der Welt der Geschlechterbeziehungen, in der ihr niemand etwas vormachen kann: „I'm not mad, I'm just headed, have 'nuff of the ruff stuff.“

Die Dancehall-Reggae/Raggamuffin-Grundstimmung, die Queen Latifahs LP trotz stilistischer Vielfalt deutlich durchzieht, verabreicht Lady Levi in konzentrierter Form. Als weiblicher Reggae-DJ und Mitglied der aufgeklärten HipHop-Gruppe Boogie Down Productions arbeitete sie vor einiger Zeit bereits mit deren Kopf KRS One an einem Projekt zur Verschmelzung von HipHop und Reggae zu einer universellen Ghettomusic. Als Resultat dieser Zusammenarbeit veröffentlichte sie 1990 mit ihrer Debut-Single Jimmy In The Valley einen Raggae- Song, der gegen die Machismo der in der Dancehall so beliebten Lover Men die Auseinandersetzung mit dem Spielverderberthema Safer Sex einforderte. Das war neu. In der afroamerikanischen Community, in der Aids bislang eher als gewolltes Produkt einer „Verschwörung zur Vernichtung des schwarzen Mannes“ diskutiert, als konkrete Bedrohung (nämlich auch für Frauen) aber weitgehend tabuisiert wurde, war Safer Sex nicht unbedingt ein Thema, dem man begegnen wollte.

Auch auf ihrer neuen LP bleiben die verschiedenen Realisierungen männlicher Verhaltensmuster in der Dancehall ein zentrales Thema. Lover Men, Rude Boys, Pimps und Gangsta, aber auch den guten Liebhaber ohne Serienficker-Neurose unterzieht Lady Levi einer großangelegten Untersuchung über die Idiotie des Geschlechteralltags. Das Nette daran ist, daß sie sich nicht der belehrenden Haltung von Boggie Down Productions anschließt, sondern die gleiche Sprache spricht, in der ihre männlichen Kollegen permanent ihre ungeheuerliche Potenz nebst Fähigkeit zu deren Umsetzung anpreisen. Slackness nennt sich sowas. Im Wechsel von Rap, Toast Style und Gesang, von schwarzem Slang und jamaikanischem Patois wachsen bei ihr die harmlosesten Anzüglichkeiten zur perfiden Gemeinheit heran. Auf Barrow Man Girl oder Looking For The Dope Beat entwickelt sie einen virtuos nörgelnden Sprachstil, der jeden Moment in ein lustiges Zerkauen einzelner Silben abkippen kann, Sprache in obskure Quietsch-, Laut- und Dehnstrukturen zerlegt oder je nach Bedarf auch in klar verständliche Passagen (I don't need you) mündet. Das jamaikanische Produzenten-Team Steely & Clevie liefert dazu auf den fünf besten Stücken klar strukturierte Riddims und wundervolle Baßlinien, die sich (wie es sich im Dancehall-Reggae gehört) wie große Hefeklöße in den Magen legen.

YoYo: Make Way For The Motherlode. (Eastwest).

Queen Latifah: Nature Of A Sista. (Tommy Boy/Eastwest).

Lady Levi: The Legend Of Lady Levi. (Funky Dreds/BGM Ariola).

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