: Anti-Switching-Therapie
■ „Mörderische Entscheidung“, Sonntag, 21Uhr, ARD und ZDF
Ein Mord in zwei Kanälen. Der nervöse Umschaltfinger als seismographische Verlängerung der TV-nomadischen Aufmerksamkeit. Flacht die Spannung einen Deut ab, schalte ich gnadenlos um, Highlight hunting. Der Comic-Illustrator Stefan bekommt einen mysteriösen Auftrag und wird in eine seltsame Mordgeschichte verwickelt. Bei einer mißlungenen Übergabe bekommt er von Christine sein Päckchen abgejagt, und die „erste Reihe“, mit der ARD und ZDF werben, spaltet sich auf in Parkett und Balkon. Währen ZDF- Stefan seiner neuen Geliebten hinterherhechelt, sehen wir die Dinge bei der ARD aus der globaleren Sichtweise. Christine ist nämlich die Assistentin von Schlitzer-Octave, dem Moderatoren einer True-Crime- Skandalshow, der nebenberuflich Frauen mordet.
Gelungen ist das Chanel-Splitting-Experiment daher in jenen Abschnitten, in denen wir das Geschehen wahlweise aus der Sicht Stefans vor dem Fernseher oder aus der Perspektive Christines im Studio verfolgen können. Macher kontra Konsument, das ergibt Sinn.
Die eigentliche Panik des Umschaltens indessen resultiert nicht unwesentlich aus der Befürchtung, irgend etwas zu verpassen. Hier hätte man ein ganz anderes Potential des Umschalt-Krimis ausschöpfen können. Denn genau die Befürchtung, vielleicht das Wesentliche zu versäumen, wurde einem ja schon gleich zu anfang von den TV-ökumenischen Ansagern genommen. Am Ende geht die Geschichte in beiden Kanälen gleichermaßen aus, nämlich gut. Das Umschalten wurde ab dem Moment überflüssig, da man bemerkte, worauf das Ganze hinausläuft. Das Experiment entpuppte sich bald als Anti-Switching-Therapie. Der Zuschauer sollte merken, daß Umschalten nichts bringt. Die Werbekunden sind zufrieden. Ihre teuren Spots werden nicht mehr einfach weggedrückt. Die grenzenlosen Möglichkeiten des Zweikanal-Krimis wurden also bewußt nicht ausgeschöpft. Viel interessanter wäre gewesen, wenn das Happy end im einen Programm aus der Perspektive des anderen eine tragische Wendung genommen hätte, die einem erst hinterher vom Nachbarn erzählt wird, der das andere Programm favorisierte. So gab es nicht zwei, sondern höchstens eineinhalb Versionen.
Die Story selbst war für Fernsehverhältnisse jedoch überraschend gut. Der psychopathische TV-Moderator, der die skurrilen Morde, aus deren Sensationswert seine Show schöpft, als maskierter Michael Myers (Halloween) insgeheim selbst ausführt, das geht in Ordnung. Das Medium als krimineller Selbstversorger, David Cronenberg (Videodrome) läßt grüßen. Auch die Sets waren interessant fotografiert und nicht so langweilig ausgeleuchtet, wie man das von TV-Krimis sonst gewöhnt ist. Hätten sich die Schauspieler nicht so oft in diesem penetranten Overacting geübt, das Ganze hätte noch mehr Zug gehabt. Manfred Riepe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen