DEBATTE: Europa steht im Wort
■ Slowenien und Kroatien müssen diplomatisch anerkannt werden
Spekulationen und wirre Prognosen haben Hochkonjunktur bei den politischen Stellungnahmen zum Krieg in Kroatien. Zum festen Repertoire dieser politischen Sterndeuter gehören derzeit Prognosen, wonach die diplomatische Anerkennung von Kroatien den Konflikt verschärfen, den Krieg ausweiten und politische Verhandlungen verunmöglichen werde. Wollte man sich auf dieser Ebene einer neuen „Balkan-Astrologie“ bewegen, so ließen sich mindestens genauso viele Spekulationen dazu anstellen, daß die weitere Verweigerung der Anerkennung genau dasselbe bewirken werde.
Anstatt darüber zu sinnieren, „was wird denn, wenn...“, hilft es viel weiter, sich die Geschehnisse der letzten sechs Monate vor Augen zu führen und daraus die Konsequenzen einer Politik der Nichtanerkennung zu ziehen. Tut man das, dann wird man feststellen müssen, daß die zur Neutralität verpflichtende EG- „Politik der Vermittlung“ mehr zur Eskalation als zur Moderation des Konfliktes beigetragen hat.
Einfach wäre es gewesen, wenn sich Europa auf die Rolle eines betroffenen Nachbarn beschränkt hätte, der sich in den Konflikt selbst nicht einmischt, aber Verletzungen von Menschenrechts- und Kriegsrechtskonventionen und in Europa seit fünfzig Jahren etablierten Konfliktlösungsmodi konsequent ächtet und sanktioniert. Statt dessen spielte sich die EG-Politik unter der Ratspräsidentschaft van den Broeks zum „Schiedsrichter“ zwischen zwei Konfliktparteien auf — ein von Anfang an ungleiches Spiel. Denn, der einen Seite, den Republiken Kroatien und Slowenien, verweigerte man jegliche — selbst die ihnen durch die jugoslawische Verfassung zustehende — staatliche Anerkennung, während man die Usurpation der Souveränität des Gesamtstaates Jugoslawien durch die andere Seite, das serbische Regime und die putschistische jugoslawische Volksarmee, bis zum heutigen Tage folgenlos hinnahm.
Die westliche Politik der Nichtanerkennung der Republiken ist eine Fortsetzung der jahrelangen Politik der Erhaltung Jugoslawiens um jeden Preis. Letztere führte direkt zur militärischen Intervention in Slowenien. Man muß nicht den Aussagen serbischer Militärs und Politiker glauben, die behaupten, daß der US- Außenminister Baker ihnen „grünes Licht“ zum gewaltsamen Eingreifen signalisiert hätte, aber die lautstarken öffentlichen Drohungen aus der amerikanischen und einigen europäischen Hauptstädten gegen die angekündigten Souveränitätserklärungen Sloweniens und Kroatiens wurden in Belgrad ohne Zweifel als Ermunterung verstanden.
Bis heute behaupten EG-Politiker, daß das von ihnen gegenüber Slowenien und Kroatien in Brioni erzwungene dreimonatige Moratorium der Souveränitätserklärungen die Kämpfe in Slowenien beendet hätte. Die Unsinnigkeit dieser Behauptung belegt schon der wenige Tage später erfolgte — auf keine europäische Initiative zurückführende— Beschluß des selbsternannten „Generalstabs“, sich vorbehaltlos aus Slowenien zurückzuziehen. Angesichts des Zerfalls definierte die serbische Generalität den Verfassungsauftrag der Armee zur Erhaltung Jugoslawiens und seiner Republiken eigenwillig in einen Auftrag zur Schaffung eines sich um keinerlei Republikgrenzen scherenden serbischen „Restjugoslawiens“ um.
Das dreimonatige Moratorium wurde von der Generalität konsequent dazu benutzt, das Offizierskorps durch Massenentlassungen nichtserbischer oder kriegsunwilliger serbischer Offiziere und Berufssoldaten für den „neuen“ Auftrag zu säubern und die kämpfenden Einheiten durch Generalmobilmachung in Serbien zu „serbisieren“. Aus der bislang latenten Unterstützung der serbischen Freischärler in Kroatien wurde eine manifeste gemeinsame Kriegführung, die immer größere Teile Kroatiens eroberte und verwüstete.
Die Folgen der Nichtanerkennung
Wer sich durch die schnelle EG-Initiative im Slowenienkrieg zur Annahme verleiten ließ, daß Europa eine solche Politik und Kriegführung gegen wehrlose Zivilisten verhindern und die „Menschenfresser“ in Belgrad sanktionieren würde, der sah sich bitter getäuscht. Unter der Verhandlungsführung van den Broeks geriet die „Friedenskonferenz“ zur folgenlosen „Jugoslawienkonferenz“. Dem Eingeständnis des Scheiterns folgte aber nicht die versprochene Anerkennung, da man sich für eine weitere wiederum zur Neutralität verpflichtende „Vermittlerrolle“ bereithalten wollte. Direkte Folge war die Eskalation der Kriegführung durch die Armee, die durch Zerstörung, Vertreibung und Völkermord vollendete Tatsachen schaffen wollte, solange Jugoslawien noch anerkannt ist.
Obwohl von Slowenien und Kroatien alle Auflagen peinlichst eingehalten wurden, die EG-Beobachter über die Brutalität und Grausamkeit der Belgrader Kriegführung genauestens berichteten und die von Carrington eingesetzten Rechtsgutachter eindeutig feststellten, daß die Republiken die legitimen Rechtsnachfolger des zerfallenden Jugoslawien sind, wurde das mehrmals gegebene Versprechen der Anerkennung nicht eingelöst.
Die Politik der verweigerten Anerkennung der Republiken hat das Regime der „Menschenfresser“ in Belgrad gestärkt. Fataler noch sind die innenpolitischen Folgen dieser vor allem aus London und Washington kommenden Politik, die die Anerkennung durch die Bundesregierung sogar durch Instrumentalisierung der UNO noch im letzten Moment zu verhindern trachten. Die serbische Propaganda, die ihr Volk in den Zweiten Weltkrieg zurückzuversetzen versucht, nährt sich direkt aus den Differenzen zwischen den westlichen Mächten. Fatal erweist sich, daß bei dieser Politik, die vor der Anerkennung die „Grenzfrage“ klären will, der Alleinvertretungsanspruch aller Serben in Jugoslawien durch Belgrad und die verbrecherischen, in keinster Weise legitimierten Tschetniks bestärkt wird. Die Republikgrenzen gelten der übergroßen Mehrheit der Jugoslawen als „heilig“, und jede Politik der Nichtanerkennung dieser Grenzen wird das Land unweigerlich in einen neuen „Dreißigjährigen Krieg“ versinken lassen. Deren Opfer würden dann vor allem die unbeteiligten Serben in Kroatien sein.
Eine weitere Folge der Nichtanerkennung scheint es zu sein, daß man in den westlichen Medien eine Berichterstattung über die innenpolitischen Entwicklungen in Kroatien für unwichtig hält. Kommt es einmal zu Berichten, so stehen fast immer die weiterhin unbedeutenden Rechtsextremisten um den nunmehr verhafteten Dobroslav Paraga im Vordergrund. Dabei verbindet sich — alle Meinungsumfragen und öffentlichen Bekundungen bestätigen dies — bei der übergroßen Mehrheit der kroatischen Bürger und ihrer Repräsentanten ihr entschlossener Wille zum Widerstand gegenüber der Belgrader Aggression mit dem Verlangen, die Zukunft Kroatiens europäisch, demokratisch und zivil zu gestalten. Sollte Europa weiterhin die Anerkennung verweigern, müßte dies in den kommenden durch Krieg und Versorgungsmängel besonders schweren Wintermonaten unweigerlich zu einer Stärkung der rechtsradikalen Kräfte führen, die schon jetzt einer „Balkanisierung“ Kroatiens das Wort reden.
Europa hat gegenüber Kroatien und Slowenien ein mehrmals gegebenes Versprechen einzulösen. Nach einer sechsmonatigen Politik der Nichtanerkennung, während der Kroatien weitgehend zerstört und verwüstet wurde, gibt es keinen Grund mehr, diesen Schritt nicht zu vollziehen. Selbst die serbische Opposition spricht sich mittlerweile öffentlich für eine Anerkennung aus, die den Anfang vom Ende des Krieges bedeuten würde. Daß sich die westlichen Regierungen nicht dazu entscheiden können, diesen Schritt gemeinsam zu vollziehen, wird in Belgrad neue Hoffnungen nähren. Ein halber Schritt in die richtige Richtung ist immer noch besser als keiner. Einer durch einen Teil der europäischen Staatengemeinschaft ausgesprochenen Anerkennung wird der andere unweigerlich folgen müssen. Dunja Melcic
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