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Bush und der Kollaps der UdSSR

Die Bush-Administration schwankt angesichts der Ereignisse in den sowjetischen Republiken zwischen Panik und Ratlosigkeit/ Rezession und aufkommender Neo-Isolationismus setzen engeren Rahmen  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Seine Union der sozialistischen Sowjetrepubliken mag längst der Vergangenheit angehören, seine Statue brutal vom Sockel gestoßen sein, doch Lenins Geist lebt; wenn auch an ungewohnten Orten. Denn nirgendwo sind die beiden berühmten Worte des russischen Revolutionsführers in diesen bewegten Tagen und Wochen so häufig zu hören wie im Weißen Haus oder dem amerikanischen State Department. Die Frage „Was tun?“ scheint sich zum Motto der amerikanischen Außenpolitik zu entwickeln.

Selten war die Analyse von Washingtons außenpolitischer Elite so verschwommen und unsicher, war das Mißverhältnis zwischen dem, was sie konstatiert und der Art, wie sie reagiert, so groß wie seit dem mißlungenen Coup gegen Gorbatschow im August. „Es gibt heute keinen amerikanischen Konsens, wie mit der Sowjetunion umzugehen ist, und [Präsident] Bush und [Außenminister] Baker haben gezögert, einen solchen zu entwickeln“, faßt der Kolumnist Jim Hoagland die Ratlosigkeit Washingtons zusammen.

Kein Wunder, sind doch bisher beinahe sämtliche Versuche der USA, zu den Ereignissen in der ehemaligen Sowjetunion Stellung zu beziehen, kläglich gescheitert. Nur wenige Monate vor dem Unabhängigkeitsvotum der Ukraine hatte Präsident Bush bei seinem Besuch in Kiew noch vor einem „selbstmörderischem Nationalismus“ gewarnt. Daß Jelzin und nicht Gorbatschow in Moskau das Sagen haben würde, verstand man in Washington erst mit gehöriger Verspätung. Und jetzt, wo man Gorbi in der letzten Woche schon fast Goodbye gewünscht hatte, springt dieser wieder ins Bild zurück wie der alternde Serienheld einer wiederholten Seifenoper.

All diese Überraschungen und — vielleicht unvermeidlichen — Fehleinschätzungen haben in der US-Kapitale zu einer merkwürdigen Mischung aus Panik und Tatenlosigkeit geführt. Da verging in der letzten Woche kaum ein Tag, an dem nicht ein hoher Beamter der Bush-Administration dem Kongreß und den Bürgern aus erster Hand eine neue Hiobsbotschaft aus dem zerfallenden Sowjetreich überbrachte, für dessen militärisches K.o. man in den letzten Jahrzehnten 3,5 Billiarden Dollar ausgegeben hatte. Der neue CIA- Chef und Ex-Kalter-Krieger Robert Gates warnte vor dem Militärausschuß des Repräsentantenhauses vor „den größten zivilen Unruhen seit der Machtübernahme der Bolschewiken“ in der Revolution von 1917. Und als fühle er sich an den Ufern des Potomac sicherer in seiner Moskauer Residenz, wirbt US-Botschafter Robert Strauß derzeit in den Vereinigten Staaten um Hilfe für die Sowjetunion.

Nur zwei Dinge scheinen in den USA sicher und unumstritten. Die Probleme der gegnerischen Ex-Supermacht, die sich gerade anschickt, ihre ersten kapitalistischen Handelsversuche statt mit Grundnahrungsmitteln mit Atomsprengköpfen zu unternehmen, sind enorm. Und der Beitrag der USA zu ihrer Bewältigung wird in jedem Falle mickrig bleiben.

An letzterer Tatsache wird auch die jetzt von Außenminister Baker für Anfang Januar einberufene Konferenz über die internationale Koordinierung der Sowjethilfe nichts ändern. Welcher Sowjethilfe, wäre da in den USA zunächst einmal zu fragen. Die noch vor wenigen Monaten vorgeschlagene Umwidmung von 1 Mrd. Dollar aus dem 291 Mrd. Dollar-Rüstungsbudget zur Sowjethilfe wurde jetzt von der Bush-Administration wieder gestrichen. Denn nichts ist im innenpolitischen Wahlkampfklima der USA derzeit so unpopulär — oder selbstmörderisch — wie Auslandshilfe. Von linken Demokraten wie von rechten Neo-Isolationisten seiner eigenen Partei der Vernachlässigung Amerikas beschuldigt, gilt auch für George Bush plötzlich wieder der Primat der Innenpolitik. „America First“, so der Wahlkampfslogan des rechten Präsidentschaftsbewerbers Patrick Buchanan.

Die Konferenz über die Sowjethilfe stellt in diesem Zusammenhang beides dar: einen symbolischen Aktionismus, der (erst einmal) nichts kostet; und den Versuch der Bush- Administration, der US-Bevölkerung zumindest die Notwendigkeit für ein Minimum an finanzieller Unterstützung der sowjetischen Republiken nahezubringen. Eine solche Hilfe wird jedoch als humanitäre Hilfe verpackt müssen. Ein größerer Beitrag zu dem von einigen vorgeschlagenen Fonds in Höhe von 10 bis 15 Mrd. für die Stützung eines konvertiblen Rubels wird sich die Bush- Administration dagegen politisch kaum leisten können. So wünschenswert die Herausforderung George Bushs innenpolitisch auch sein mag, so sehr wird sie bis zu den Wahlen im November die außenpolitische Manövrierfähigkeit der US-Administration einschränken. Um sich selbst mehr auf die Heimatfront konzentrieren zu können, hat George Bush die sowjetische Bühne nun erst einmal Außenminister Baker überlassen, der in diesen Tagen durch den zerfallenden Staat reist.

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