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Rechten Jugendlichen eine Alternative bieten

Zittauer BürgerInnen wollen mit einem „vertrauensbildenden Projekt“ verhindern, daß Jugendliche endgültig in die rechte Szene abdriften  ■ Aus Zittau Detlef Krell

Nein, mit den Linken will er nichts zu tun haben. Und mit der Presse auch nicht. Der Siebzehnjährige mit dem schmalen Gesicht, koppelbreit über den Ohren rasiertem Topfschnitt und dem T-Shirt, das seine Oberarmmuskeln betont, will unter seinesgleichen leben. „Ich war immer rechts, und ich werde auch rechts bleiben.“ Aber die Zeitungen würde nur von „rechtsradikalen Gewalttätern“ schreiben, „die machen keinen Unterschied“. Mit den Linken, die auf der Milchstraße ein Haus besetzt halten, „würde ich höchstens mal reden, aber mehr nicht. Wie die rumrennen und was die für Ansichten haben, das lehne ich ab“. Seine Kumpels nicken. Es gebe zwar einen Nichtangriffspakt mit denen, aber wollte jemand versuchen zusammenzubringen, was nicht zusammengeht, dann gäbe es beizeiten Krach. Wenn sie, die Rechten, endlich ihr eigenes Haus bekämen, dann würden sie einen brauchen, der das Sagen hat, einen, den alle akzeptieren. „Wir können das doch nicht wie die Linken machen mit ihrer Demokratie.“ Eine Hausordnung wäre schon fertig.

Von den rechten Parteien hält er nichts. „Ich lass' mich doch nicht von denen repräsentieren. Dann sagen die noch, was ich zu machen habe.“

Etwa 15 halbwüchsige Zittauer, die sich selbst als „Rechte“ bezeichnen, sitzen an diesem Abend im Jugendklub „Ost“. Von weitem erinnert das Domizil am Rande des Neubaugebietes eher an ein Trafohäuschen. Nebenan, in zwei Baracken, haben das Frauenzentrum und eine Videothek ihre Räume. Drinnen ist die Uhr stehengeblieben; augenscheinlich seit den Siebzigern dunkelt das Inventar vor sich hin: Kantinentische, fleckige Polsterstühle, Plastikkristalleuchten und ein handgemalter Südseetraum an der Wand.

An diesem Abend haben die InitiatorInnen des Multikulturellen Zentrums eingeladen, um über den Prozeß gegen acht Zittauer Jugendliche zu reden, die am Himmelfahrtstag ein Ferienheim für Kinder aus dem strahlenverseuchten Tschernobyl überfallen hatten. Mit den jungen Rechten folgten mehr als 100 ZittauerInnen der Einladung des „MUK“, über Wege zu sprechen, „das Mißtrauen in Vertrauen umzuwandeln, ohne die Beteiligten erneut auszugrenzen“. Die acht Täter waren am 11. November verurteilt worden. Mit den Urteilen blieb das Zittauer Kreisgericht deutlich unter den Strafanträgen der Staatsanwaltschaft. Der jüngste Angeklagte kam mit hundert Stunden gemeinnütziger Arbeit davon, weitere Jugendstrafen zwischen acht und fünfzehn Monaten wurden zur Bewährung ausgesetzt. Gegen die Haftstrafen zwischen zwölf und fünfzehn Monaten für drei der Angeklagten hat die Verteidigung Berufung eingelegt. Nun ist mit der Neuaufnahme dieses ersten Prozesses gegen Rechtsradikale in Sachsen zu rechnen.

Gerhard Sperling, ins Dreiländereck übergesiedelter Münchner Unternehmer und Sprecher des Multikulturzentrums, möchte mit den Jugendlichen „lieber arbeiten als sie hinter Gittern zu wissen“. Er sieht in dem Angriff auf die Tschernobyl- Kinder eine „Tat von jungen Menschen, die Probleme haben, weil die Gesellschaft Probleme hat“. Die Angeklagten mußten seiner Meinung nach „herhalten für unterbliebene gesellschaftliche Auseinandersetzungen“. Sie seien beim Prozeß „wie Schwerverbrecher“ den sensationslüsternen Medien ausgeliefert worden. So kritisiert Sperling, daß während des Prozesses fotografiert werden durfte. Eine empörte Bürgerin stellt die Zittauer Tat den etwa vierzig vergleichbaren Überfällen gegenüber, die allein im April im gesamten Bundesgebiet verübt worden seien und nicht annähernd dieses Medieninteresse fanden. Sperling zitiert aus einem Brief des Amtes für Wirtschaftsförderung, wonach sich seit den Zittauer Ereignissen besonders italienische und englische Investoren aus der Region zurückziehen. Schon heute zählt Zittau 25 Prozent Arbeitslose. Für die noch vom jetzigen sächsischen Innenminister Eggert (CDU) initiierte Euro-Region Dreiländereck könnte der Ruch einer „Neonazi-Hochburg“ tödlich sein.

Jemand fragt in die Runde, woher denn eigentlich diese Bereitschaft zur Gewalt komme. „Wie sollen wir es denn sonst machen?“ tönt es aus der Ecke der Rechten. Die gleiche Antwort wie schon im Gerichtssaal: Man wolle ein Zeichen setzen. „Kein Politiker interessiert sich für unsere Probleme. Aber wenn es knallt, dann kommen sie. Wie in Hoyerswerda.“ Warum, fragt eine junge Frau zurück, richte sich die Gewalt nicht gegen die Leute, die es verdient haben. „Wir müssen in Berlin und Bonn klarmachen, daß sie eine Politik nicht weiterführen können, die die Jugend ausgrenzt.“

Angebote für Jugendliche, neue Leitbilder kommen ins Gespräch. Könnte das Multikulturzentrum ein Partner sein, auch für die Rechtsradikalen? Ein anderer meldet sich, der gerne Partner wäre, der örtliche Rep- Chef. Die Schönhuber-Partei hatte ihr Jungmitglied und an der Tat Beteiligten René Druschke sofort gefeuert. Heute ist Rep-Kader Pech sichtlich um Kontakte zu den jungen Rechten bemüht. Den Angriff auf das Kinderheim nennt er einen „Betriebsunfall“, und die Urteile stellt er dem Freispruch des türkischen Jugendlichen Ayhan Ö. Mitte Oktober in Berlin gegenüber, der in Notwehr einen „Republikaner“ getötet hatte.

Doch um an der Rechtsstaatlichkeit des Prozesses zu deuteln, sind die ZittauerInnen heute nicht gekommen. Eine Frau stellt sich als Mutter von vier Kindern vor und bietet an, beim Aufbau eines neuen Jugendklubs mitzuhelfen. „Es sind genügend Räume da, wir müssen sie nur nutzen. Wer macht mit?“ Beifall im Saal, auch die Jugendlichen melden sich. Sie wären schon bereit, sich etwas aufzubauen, aber das Vertrauen in die Lokalpolitiker ist so groß nicht. Wer soll das Haus geben und das Geld? Bürgermeister Kloß (CDU) meint zwar, das wäre kein Problem, die jungen Leute bräuchten sich nur einen Termin geben zu lassen und ein Konzept mitzubringen; doch von derlei Sprüchen kann die Zittauer Fraueninitiative längst ein Lied singen. Seit über einem Jahr bemüht sie sich, mit Bundesgeldern in der Tasche, bei der Stadt vergeblich um ein Frauenhaus.

„Wir müssen von unten etwas bewegen“, ermuntert Annett Scheibe vom Multikulturzentrum die Jungen. „Wir wollen euch nichts vorsetzen. Ihr müßt wissen, was ihr wollt. Wir können euch nur ein Stück begleiten, euch helfen, auch in die ganze formale Arbeit reinzuwachsen. Leben muß das Projekt durch euch.“ Damit scheinen sich die Jugendlichen anfreunden zu können. Ein Treff mit den Multikulturleuten ist schon vereinbart.

Pfarrer Lothar Alisch, der für das Neue Forum in der Stadtverordnetenversammlung sitzt, hat Unterstützung zugesagt; auch die Sozialdezernenten der Stadt und des Landkreises wollen sich nicht lumpen lassen. Wächst aus der Idee das Projekt, hätten wenigstens die Jüngsten der Zittauer Rechten ihren „Ort“, wo sie ihre Zeit verbringen können.

Ob die in zwei Zittauer Heimen untergekommenen Flüchtlinge und die linken BesetzerInnen dies dann ebenfalls können, diese Prognose wagt heute noch niemand. Ohnehin sei an den knallharten Kern der nächsten Fascho-Generation, der sich im Zittauer Felsenkeller trifft, mit so einem Projekt nicht mehr heranzukommen. Zumindest zwei der Angeklagten hatten sich nach der Verkündung ihrer Haftstrafe ausdrücklich zu weiterer Gewalt bekannt.

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