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Tod durch Überarbeitung

„Karoshi“: Das japanische Busineß ist von einem neuen Krankheitssyndrom befallen.

Japanische Geschäftsleute und Industriemanager sterben immer häufiger an Überarbeitung. „Karoshi“ heißt der plötzliche Tod, der durch berufliche Überlastung ausgelöst wird. 1978 wurde dieses Syndrom in der japanischen Medizin zum ersten Mal beschrieben, inzwischen ist es zu einem geläufigen Kürzel geworden. Todesfälle durch Hirnschläge, Herzinfarkte und Embolien, die medizinisch mit Überarbeitung und Streß assoziiert sind, werden in Japan unter Karoshi zusammengefaßt. Immer mehr Japaner im mittleren Alter, aber auch sehr junge Leute sterben daran.

Ende November haben sich die Angehörigen der Opfer zu einem landesweiten Netzwerk zusammengeschlossen. Sie verlangen, daß Karoshi als typische Berufskrankheit anerkannt wird und daß die Hinterbliebenen entschädigt werden. Das Arbeitsministerium hat jetzt eine Studie zur Untersuchung von Karoshi in Auftrag gegeben.

Allein im vergangenen Jahr wurde das japanische Arbeitsministerium mit 597 Ansprüchen von Hinterbliebenen von Karoshi-Opfern konfrontiert. Aber nur in 33 Fällen wurde der Tod als direkte Folge der Arbeitsüberlastung anerkannt. Der kausale Nachweis ist schwer zu führen. Schon seit 1988 existiert in Japan ein „Karoshi-Nottelefon“ von Ärzten und Rechtsanwälten. Innerhalb von drei Jahren wurden hier 2.500 Fälle registriert. Etwa ein Viertel der Opfer waren 50 Jahre und älter, die meisten jedoch sind deutlich jünger.

Dr. Tetsunojo Uehata vom nationalen japanischen Gesundheitsamt hat herausgefunden, daß im Jahre 1990 45 Prozent aller japanischen Geschäftsleute und Industriemanager mehr als 50 Stunden pro Woche gearbeitet haben. Unter diesen Vielarbeitern bringt es wiederum ein Viertel auf monatlich mindestens 30 Überstunden. Auch in europäischen und amerikanischen Betrieben werde hart gearbeitet, sagt Uehata, aber die Belastungen im japanischen Busineß seien besonders hoch.

In der Diskussion über Karoshi hat jetzt der Fall des 34jährigen Kazuhiko Kanameda für erheblichen Wirbel gesorgt. Kanameda hat als Manager in einem Lebensmittelkonzern gearbeitet. Sein Pensum während der letzten vier Jahre vor seinem plötzlich Tod: täglich zwei Schichten mit 14 bis 16 Stunden reiner Arbeitszeit. Zusätzlich nahm sich der Mann an den Wochenenden und im Urlaub Arbeitsunterlagen mit nach Hause, beschreibt die Witwe den Dauerstreß ihres Mannes. Im Juli dieses Jahres, mehr als zwei Jahre nach Kanamedas Tod, wurde der Fall als berufsbedingter Karoshi anerkannt.

Aber sind die Opfer nicht selbst schuld an der Arbeitsüberlastung? Europäer können die Situation in japanischen Betrieben schwer nachvollziehen. Neben der hierzulande kaum vorstellbaren engen Verbindung des Japaners zu seiner Firma gibt es noch zwei weitere Gründe für die hohe Arbeitsbelastung: Zum einen sind die Gewerkschaften in Japan notorisch schwach, zum anderen können sich die Beschäftigten kaum gegen Überstunden zur Wehr setzen. Ein Grundsatzurteil zur Überstundenpflicht hat erst vor wenigen Wochen für Schlagzeilen gesorgt. Das höchste japanische Gericht entschied, daß der Hitachi-Musashi-Konzern einen Beschäftigten zurecht gefeuert hatte, weil sich dieser weigerte, Überstunden zu leisten.

Nach diesem Urteil erwarten die Mitarbeiter vom „Karoshi-Notruf“ einen noch größeren Druck auf die Beschäftigten, vor allem im mittleren Management. Und sie befürchten eine weiter steigende Kurve der Fälle von Karoshi. Manfred Kriener

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