Sie nannten mich den Turbodoktor

■ Gerd Schwandner, Bremens neuer Kulturstaatsrat, über frischen Wind und alte Zeitbomben, z.B. die Waldau-Pleite

So ein schäbiges Kämmerchen hat man ihm als erste Residenz ausgeräumt! Abgestoßenes Mobiliar und ein altes Sperrmülltelefon. Für den Schwaben Gerd Schwandner (40) schon mal ein Grund zu kämpfen. Der gelernte Chirurg und neue Staatsrat der Kultursenatorin Helga Trüpel erzählte der taz, was er sonst noch im Schilde führt.

taz: Wie lange müssen Sie hier noch hausen?

Gerd Schwandner: In diesem Quasi-DDR-Provisorium, wo sogar der Schreibtisch wackelt? Nein. Wir haben nebenan in der Pieperstraße 7 schon neue Räume im Blick. Aber...

Müssen Sie denn schon für die bloße Behausung Druck machen?

Ich glaube, daß harte Kämpfe nötig sein werden, bis man dieses Ministerium — das ist es ja — ausstattet, wie es sich gehört.

Ich nehme an, daß das noch nicht mal Ihre größte Sorge ist.

Nunja, das Ernst-Waldau-Theater zum Beispiel. Das ist ja ganz fürchterlich. Geradezu eine Hardcore-Altlast. Dieses Theater ist eigentlich pleite. Die schieben einen gewaltigen Schuldenberg vor sich her und haben, salopp gesagt, die Hälfte ihrer Förderung für 1992 schon verveschpert.

Verveschpert?

Verputzt. Ich denke, daß man da so wie bisher nicht weitermachen kann. Es gibt ja auch noch dringenden Bedarf nach einer neuen künstlerischen Konzeption, gleich welcher. Denkbar ist zum Beispiel ein Regionaltheater, wo auch niederdeutsche Stücke gespielt werden, wo aber auch mal eine okzitanische Gruppe kommt oder eine niederländische. Dazu müßten aber neue Zuschauergruppen angesprochen werden, und das hat strukturelle Voraussetzungen. Möglicherweise ist eine GmbH notwendig, um das Theater am Leben zu erhalten — auch im Sinne der Menschen, die dort arbeiten.

Am Freitag war eine Abordnung des Betriebsrats bei Ihnen.

Ja, vier Frauen. Ich bin ja ein hartgesottener Mensch, aber es hat mich schon erschüttert, wie flehentlich die um ein Ende dieser Verhältnisse baten. Die sind zu allem bereit, wenn's nur anders wird.

Wollen sie eventuell, daß man sie von Ihrer Leitung erlöst?

Ja.

Auch andere Institute schreien zum Himmel nach neuen Lösungen: Das Kulturforum auf dem Teerhof ist immer noch nicht gebaut, das Ausstellungszentrum Langenstraße soll, so beschloß die Deputation, noch einmal überdacht werden.

Ja, da haben wir uns etwas Luft verschafft. Was den Teerhof betrifft: Jetzt, wo ich die Aktenlage kenne, wundere ich mich umso

Hierhin den Herrn mit Pralinen

Zwischen einem Termin und dem nächsten: Schwandner, gehetzt und schlecht behaust, nährt sich noch großteils von PralinenFoto: Vankann

mehr, warum das so lang gedauert hat...

Zumal dieses Kulturhaus inzwischen schon 12 statt 8 Millionen kosten soll.

Selbst zu dem Preis wär's immer noch ein Schnäppchen.

Wie steht's eigentlich um Ihr Personal? Sie übernehmen ja einen chronisch depressiven Apparat, und die Kulturszene erhofft sich sowas wie einen Aufräumer.

Ich gebe erstmal allen Mitarbeitern hier eine Chance. Mein vorläufiger Eindruck ist sogar der, daß jetzt alle aufatmen. Früher

hat man die schlecht behandelt, aber das sind hochmotivierte Leute, und jetzt sitzen sie plötzlich im zentralen Bereich eines Ministeriums. Gesetzt den Fall natürlich, wir können es komplettieren.

Was fehlt?

Außer Platz brauchen wir neue Stellen: einen allgemeinen Stab, wie ihn jede Behörde hat; eine eigene Personal- und eine Rechtsabteilung; Haushaltspläne müssen gemacht und Bauvorhaben umgesetzt werden. Das alles lief früher zentral, jetzt müssen wir's selber machen. Und dann brauchen wir endlich einen PC: Ich war ja baß erstaunt, daß die hier noch mit der Schere unterm Arm herumliefen, um Briefe zurechtzuschneiden. Absurd. Dabei fällt mir ein: Sie sind ja gelernter Chirurg. In der Kulturszene gibt es welche, denen macht das ein wenig Angst. Zu Recht?

Ach, wenn die Schnitte sauber sind.

Muß niemand schlottern? Altehrwürdige Institutionen tun es schon.

Wir haben uns natürlich noch gar nicht festlegen können, wo wir verstärkt fördern und wo nicht. So eine Hierarchie wird es sicher auch in zwei Monaten noch nicht geben. Da sind noch viele Gespräche zu führen, auch zum Beispiel mit dem Bremer Theater, dem ich nebenbei wünsche, daß sich Herr Heyme wieder an seine Glanzleistungen der frühen Siebziger erinnert.

Aha.

Hinterher ist er doch schwächer, dogmatischer geworden. Ich glaube, die Zeiten, wo einer mit dem moralisierenden Zeigefinger herumfuchtelt, sind vorbei.

Was verschafft überhaupt Ihnen als Arzt die kulturelle Kompetenz?

Das hat mich von Anfang an interessiert. Ich hab die Schule geschwänzt, um Filme zu sehen; ich war später AStA-Kulturreferent und hab andauernd Filme gezeigt, die keiner sehen wollte, und selbst seit ich 1984 in den baden- württembergischen Landtag kam, war ich mit kulturellen Fragen beschäftigt.

Schlüsselerlebnisse?

Ich hab die Beatles gesehn: am 25. Juli 66 in Essen. Dann Theater: Woyzeck von Büchner. Und bildende Kunst. Da kenn ich mich wohl auch am besten aus.

Und die Medizin?

Soweit ich wissenschaftlich drüber arbeite — ich hab ja noch einen Lehrauftrag in Osnabrück — interessiert mich, wie sie immer kulturell überformt war. Sonst hat sie mich nie ganz ausgefüllt. Meine Schulmedizin hab ich ziemlich schnell durchgezogen.

Schnell?

Ja. In der Klinik nannten sie mich den Turbodoktor. Interview: Manfred Dworschak