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Eine Waffe in jeder dritten Schultasche

■ Jugendliche ab zwölf Jahren rüsten zusehends auf/ Die meisten wollen nicht unbedingt »Täter« werden, sondern lediglich sich verteidigen

Berlin. Wußten Sie, daß beinahe jeder dritte Jugendliche, der zwölf Jahre und älter ist, mit einer Waffe in der Tasche herumläuft? Das ist das Ergebnis einer Auswertung der Arbeitsgemeinschaft Jugendgruppengewalt der Berliner Polizei. »Wir wollen damit keine Panik schüren, sondern deutlich vor Augen führen, wie groß die Angst unter Kindern und Jugendlichen ist«, sagte Kriminalhauptkommissar Wolfgang Gerke in einem Gespräch mit der taz.

Die Meldungen von gewalttätigen Auseindersetzungen zwischen Jugendlichen gehören schon fast zum Alltag. Wie brutal es dabei zugeht, wurde am vergangenen Wochenende wieder einmal deutlich. Ein 13jähriger Schüler rammte einem 16jährigen Jugendlichen bei einer Klopperei, die spaßhaft begonnen hatte, ein Messer in den Bauch. Auf die Frage, ob ihn das Alter des Täters erstaunt habe, winkte Kriminalhauptkommissar Gerke ab. »Das ist mittlerweile eine ganz normale Konfliktregelung unter Jugendlichen, so übel es klingt.«

In allen Bezirken der Stadt haben Schüler in ihren Schultaschen Waffen verstaut. Überwiegend Waffen, mit denen man hauen, schlagen oder schießen kann. Bei den Schußwaffen handelt es sich um Gas- oder Schreckschußpistolen, scharfe Schießeisen sind zum Glück noch nicht aufgetaucht. Mädchen besitzen immer öfter eine Tränengasdose. Den Grund für die zunehmende Bewaffung der Schülerinnen und Schüler sieht Gerke in der alltäglichen großen und kleinen Gewalt auf dem Schulweg und in der Freizeit.

Die große Gewalt firmiert unter dem Begriff »Abziehen« von Jacken, Federtaschen, Geld, Zigaretten und Walkman. Die Angst, noch einmal Opfer zu werden, führt laut Gerke oftmals zu dem Entschuß, sich fortan zu bewaffnen. Nur die Minderzahl der Schüler rüste auf, um selbst »Täter« zu werden. Die große Gewalt gebe es jedoch nicht ohne die kleine: verbale Anmachen, die schnell zu einer harten Schlägerei ausarteten. »Zwei stehen sich gegenüber, der Rest bildet einen Kreis um sie und feuert an. Dann kommt noch einer von hinten und tritt auf den Unterlegenen, der schon am Boden liegt.«

Die Polizei-Arbeitsgemeinschaft Jugendgruppengewalt, der auch Gerke angehört, ist eine reine Informations- und Auswertungsstelle. Hier gehen alle Meldungen von Auseinandersetzungen ein, an denen mehr als zwei Jugendliche im Alter zwischen acht und 25 Jahren beteiligt waren. Die Mitarbeiter versuchen die Hintergründe zu ermitteln. Sie veranstalten in Schulen und Jugendeinrichtungen Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer und Sozialarbeiter sowie Workshops für Jugendliche. Die große Verunsicherung der Jugendlichen und die zunehmende Gefühlskälte hält der Kriminalhauptkommissar für die wesentlichen Ursachen der Gewalt. In den Workshops würden beim Rollenspiel zum Beispiel typische Anmachesituationen in der U-Bahn nachgestellt und gewaltfreie Konfiktlösungen erprobt. Dabei weiß Gerke natürlich auch, daß es kein Patentrezept gibt. Die Jugendlichen müßten von und mit den Erwachsenen lernen, verbal Stellung zu beziehen statt zuzuschlagen. plu

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