: Der Geist von Miami im Ladenregal
Nicaraguas Detailhandel erlebt eine Blüte/ Wer es sich leisten kann, findet in den Konsumparadiesen alles ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Die Zeiten der Austerität in Nicaraguas Supermärkten sind lange vorbei. Die eintönigen, oft halbleeren Regale, wo außer Obst, Rum und Büchern fast alles nur über Bezugsschein zu haben war, gehören ebenso der Vergangenheit an wie Rationierungskarten und staatliche Preisstützungen. Vor allem in den Städten schießen immer neue Konsumparadiese aus dem Boden.
Billig war das Leben unter den Sandinisten für die Genügsamen gewesen. Die Anspruchsvollen hingegen, die genügend US-Dollars besaßen und sich in den Kopf gesetzt hatten, etwa ihren Speisezettel mit importierten Ingredienzien aufzubessern, gingen in die sogenannten „Diplomatenshops“. Dort war von Kaviar bis zum schottischen Whiskey, von der Autobatterie bis zur Klimaanlage alles zu haben, was der Durchschnittsnicaraguaner nur vom Hörensagen kannte. Wem auch diese Quelle verschlossen blieb, konnte sich immer noch auf dem Mercado Oriental, dem labyrinthartigen Schwarzmarkt, eindecken, wo in schmierigen Buden und zum entsprechenden Preis die erstaunlichsten Waren auftauchten. Wer aber etwas auf sich hielt, fuhr zum Einkaufen ins Ausland: Die einheimische Bourgeoisie reiste zum Shopping nach Miami, ausländische Entwicklungsexperten vorzugsweise nach Panama.
Im postsandinistischen Nicaragua sind solche Umwege nicht mehr notwendig. Der Geist von Miami ist nicht nur in das Fernsehprogramm, sondern auch in den Detailhandel eingezogen. Der Befriedigung lange aufgestauter Konsumbedürfnisse hat die neue Regierung Priorität eingeräumt. Jene 20 Prozent der Nicaraguaner, die sich nicht überlegen müssen, wie sie den nächsten Tag überleben, haben heute reichlich Auswahl. In den anderthalb Jahren der Regierung Chamorro sind neue Einkaufsparadiese zu Dutzenden aus dem Boden geschossen. Selbst die wenigen, noch vom Staat verwalteten Etablissements haben ihr Sortiment attraktiver gestaltet, können aber nur durch niedrigere Preise mit der privaten Konkurrenz mithalten, wo angenehm plätschernde Hintergrundmusik und psychologisch plazierte Sonderangebote die verborgenen Kauflüste stimulieren.
Auch die Sandinisten haben sich dem Trend der Zeit angeschlossen. Die Partei versucht inzwischen, der traditionellen Bourgeoisie auf deren Terrain zu begegnen. Der verwöhnte Kunde kann heute entscheiden, ob er sein Geld im Supermarkt La Fe bei der Familie des Präsidialministers Lacayo läßt oder in einem nicht schlechter bestückten Nobelgeschäft mit sandinistischem Kapital einkauft. In der Stadt Matagalpa haben sich die Lacayos sogar mit dem sandinistischen Abgeordneten und Vorsitzenden der Kleinbauernunion UNAG, Daniel Nunez, zusammengetan und einen Laden aufgemacht. Mitte Dezember, gerade noch rechtzeitig für das profitable Weihnachtsgeschäft, hat die bekannte Unternehmerfamilie Mantica den größten und bestgelegenen Supermarkt Managuas eröffnen können. Sie beruft sich in ihrer Werbung auf „35 Jahre Erfahrung“ vor der sandinistischen Revolution.
Doch nicht nur ein aufgestautes Konsumbedürfnis der Bevölkerung hat dem Handel zum Aufschwung verholfen. Auch die Tatsache, daß jeder zweite Minister der Chamorro- Regierung seine Finger im Import- Export-Geschäft hat, dürfte bei der Handelsliberalisierung eine gewichtige Rolle spielen. Im Zuge der neoliberalen Wirtschaftsreform wurden die Importzölle drastisch gesenkt oder ganz beseitigt. Wer in den zuständigen Stellen einen einflußreichen Freund hat, wird gelegentlich auch einmal von allen Abgaben befreit. Kein Wunder, daß sich die Schwester des Bürgermeisters von Managua, die ihr Lokal während des Wahlkampfes dem antisandinistischen Bündnis UNO als Hauptquartier zur Verfügung gestellt hatte, heute als Opfer einer Verschwörung sieht: Ihr wird vorgeworfen, mehr als drei Millionen Dollar an Importabgaben hinterzogen zu haben. Derartige Fälle von Korruption und Amtsmißbrauch sind in den letzten Wochen reihenweise ruchbar geworden — dank zunehmender Rivalitäten innerhalb des Regierungslagers. Nicaraguas schwachbrüstige Industrie konnte nie mit der ausländischen Konkurrenz mithalten. Durch die Zollsenkungen kann heute selbst die Landwirtschaft nicht mehr rentabel produzieren. Ein einheimisches Masthuhn ist um 20 Prozent teurer als das aus den USA eingeführte Gefriergeflügel. Bei den Grundnahrungsmitteln Reis und Bohnen ist es ähnlich. Die Spannung unter der Landbevölkerung wächst. Niederkonkurrenzierte Bauern im Süden blockierten Lkw mit Billigbananen aus Costa Rica. Wenn die Nicaraguaner sich demnächst für die Weihnachsfeiertage eindecken, werden sie außer Fleisch und Milch keine einheimischen Produkte mehr vorfinden.
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