: Georg, der Grozer
■ Die schillerndste Figur des deutschen Volleyballs verlor mit dem Moerser SC beim 1.VC Hamburg 2:3
Hamburg (taz) — Die Schuldigen hatte er eilig ausgemacht. „Im Kopf“ habe es nicht gestimmt, erzählte der dampfende Georg Grozer, 1,96 Meter langer Volleyballhüne vom Moerser SC, der Star, der beim Spiel seines Teams sich selbst auf das Format eines Starlets brachte. Denn hatte nicht auch er dazu beigetragen, daß die „Außenseiter“ (Jürgen Wagner, Trainer der favorisierten Moerser) vom 1.VC Hamburg nach dem 3:2 (3:15, 15:11, 10:15, 15:5, 15:13) siegestrunken sich in den Armen lagen? Oder woran hat es gelegen, daß seine eines Carlo Thränhardt würdigen Sprünge aus dem Stand am Ende nicht mehr so furchterregend hoch gerieten, seine Schläge im dritten Durchgang gar dreimal nacheinander vom Hamburger Olaf Korf abgeblockt wurden? War er vielleicht müde, so sehr sogar, um den Ideen des Moerser Zuspielers Mirko Culic folgen zu können?
Aber Grozer wäre nicht Grozer, lächelte er nicht verständnisvoll ob der Unkenntnis darüber, daß ein Juwel wie er nie patzt, auch seelisch nicht verzagt, wenn ein Gegenspieler ihm erfolgreich Paroli bietet. Also sagte er, das schreckliche, schmucke Kind der deutschen Volleyballszene, mit dem Unterton des betrogenen Genies: „Was kann ich dafür, wenn ich keine Bälle zugespielt bekomme?“
Ein Ignorant, wer dies nicht versteht. Vom Schmerz der Unverstandenen hingegen beim 1. VC Hamburg keine Spur. Erstmals trat die frühere Volleyballcombo des Hamburger SV unter ihrem neuen Namen an. Zeigen wollten sie, daß mit ihnen zu rechnen ist, trotz der zuletzt ungewissen Zukunft ihres Teams. Eine eigentlich unlösbare Aufgabe war es, den amtierenden CEV-Pokalsieger zu schlagen, ihm erstmals seit dem April dieses Jahres eine Niederlage auf nationalem Terrain beizubringen.
Trainer Bernd Schlesinger, der 32jährige Eleve in der Zunft der Bundesligatrainer, ein Mann mit dem freundlichen Charisma eines gewieften Oberstufenschülers, hatte sich bescheiden nur „ein schönes Spiel“ erhofft. Zumindest Frank Mackerodt, die Seele des Teams, traute sich und seinen Mannen schon eher den Coup zu, schließlich wußte er, daß die Kollegen vom Rande des Ruhrpotts am Mittwoch zuvor beim SCC Berlin zwar 3:0 siegten, dabei freilich mehr Mühe hatten als erwartet, mithin konditionell nicht unbedingt mit allererster Frische antreten würden: „Wenn wir den Grozer dreimal abblocken...“
Zumindest im ersten Satz mißlang dieser Plan vollends. 3:15 endete er nach wenigen Minuten, da war Grozer noch Mitglied seiner Mannschaft. Doch schon das 15:11 im zweiten Satz, der noch nach 1:5-Rückstand geholt werden konnte, deutete Mackerodts feines Gespür für die Psychologie des Volleyballspiels, die keine individuellen Eskapaden verträgt, an: Da begann Georg Grozer nach weniger präzisem Stellungsspiel seiner Mannen zu mäkeln, nörgelte vernehmlich an seinem Hofstaat herum. Und obzwar der dritte Durchgang mit 15:10 gewonnen wurde, zermürbten die Hamburger ihre Kontrahenten im vierten Satz mit 15:5, wobei Grozer endgültig die Contenance verlor, den obligatorischen Klaps auf die Hand des patzenden Mitspielers verweigerte und sich beleidigt aus den Niederungen des Spielgeschehens zurückzog, eine seelenlose Hülle muskulösen Fleisches zurücklassend. Weil eben sein Kopf so schwer war, daß er sich nicht mehr auf den Tiebreak konzentrieren mochte, ging dieser schließlich an die Hamburger — mit 15:13. Es war eine Sache des Kopfes. Ihn kühl zu bewahren, gelang den Hamburgern mit dem Mut, keine Angst vor dem Goliath zu haben. Vizepräsident Günter Ploß teilte mit, befragt nach den Chancen, die Playoff-Runde zu erreichen: „Alles ist offen.“ Grozer, der Mann, ohne den der deutsche Volleyball so fern vom Glamour wäre wie der real existierende VfL Bochum in der Kickerszene, schlurfte derweil zum Mannschaftsbus. Und schaute nicht in die Gesichter seiner Teamkollegen, deren auf ihn gerichteten, mordlüsternen Blicke eigentlich ein Fall für den Haftrichter gewesen wären. JaF
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen