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Geknickte Karrieren und honorige Abgänge

■ Vom freiwilligen Rücktritt bis zur nächtlichen Verhaftung: Was Finanzminister, Notenbankchefs und andere Wirtschaftspolitiker zu ihrem zuweilen überraschenden Ausscheiden aus dem Amt bewog/ Eine kommentierende Rückschau der taz-KorrespondentInnen auf das Jahr 1991

Beginnen wir gleich mit einem der erfreulichsten Ereignisse. Selten zuvor haben Studentendemonstrationen erreicht, ausgerechnet den Finanzminister zu stürzen. Doch die südkoreanischen Aktivisten, die ihre Molotowcocktails in diesem Frühjahr in die Korruptionssümpfe der großen Politik warfen, waren auch damit erfolgreich. Als nämlich der auf der Straße entfachte Skandalbrand am 24. Mai zu einer Regierungsumbildung führte, mußte auch der Finanzminister Chung Yung Eui seinen Hut nehmen. Damit sollte freilich nicht nur ein der unsauberen Geschäfte verdächtigter Politiker entfernt werden, sondern auch der Dirigist alter diktatorischer Schule, der Chung immer war. Er wurde denn auch durch den wirtschaftsliberalen Weltbankier Rhee Yong Man ersetzt.

In Polen sorgten nicht die Studenten, sondern die Herren des Morgengrauens für die Entfernung aus dem Amte. In der Nacht vom 18. auf den 19. September dieses Jahres wartete auf dem Warschauer Zentralbahnhof eine Einsatzgruppe des Staatsschutzes auf Grzegorz Wojtowicz, verhaftete ihn, führte ihn in seine Wohnung und durchsuchte sie. Dann verschwand Polens Nationalbankchef für einige Wochen hinter Gitter. Heraus kam er erst durch die Bürgschaft von Walesas Beichtvater, dem Danziger Pfarrer Jankowski. Was insofern wundern muß, als Wojtowicz erst durch Walesa in die Bredouille kam — der ließ ihn nach Polens aufsehenerregendem Bankenskandal um den Privatkonzern Art B suspendieren. Aber Walesa und Jankowski hatten sich schon vor längerer Zeit zerstritten...

Wojtowicz, Nachfolger von Wladyslaw Baka und zuvor dessen Stellvertreter, entstammt noch der alten KP-Garnitur in der Nationalbank. Er mußte gehen, weil er den Bankenskandal trotz eindeutiger Hinweise seines Untergebenen, des Chefs der Bankenaufsicht, nicht verhindert hatte. Dessen Report verschwand nämlich in Wojtowiczs Schreibtisch, und die Art-B-Manager, die sich anschließend nach Israel absetzten, konnten Polens Banken um Hunderte Millionen Dollar erleichtern.

Einen Nachfolger hat Wojtowicz noch nicht gefunden. Beide bisherigen Kandidaten, von Walesa aufs Schild gehoben, wurden vom Sejm abgelehnt. Weshalb, so behaupten Geschäftsleute, die Entscheidungsfreude der Nationalbankbeamten in letzter Zeit noch weiter abgenommen hat.

Aber auch zu große Entscheidungsfreude kann zum Sturz führen. Vom Beinahe-Premierminister zum Hinterbänkler — der Absteiger des Jahres in Irland ist zweifellos der ehemalige Finanzminister Albert Reynolds. Der 56jährige Geschäftsmann aus der ländlichen Grafschaft Roscommon hatte sich verkalkuliert: Nachdem sein Chef, Premierminister Charles Haughey, wegen zahlloser Finanzskandale immer stärker in die Schußlinie geraten war und nur um Haaresbreite ein Mißtrauensvotum im Parlament überstanden hatte, glaubte Reynolds, seine Stunde sei gekommen. Als ein Hinterbänkler im November den Antrag stellte, Haughey als Parteivorsitzenden abzusägen, verkündete Reynolds lauthals seine Unterstützung für die Rebellen. Doch er hatte den gewieften Taktiker unterschätzt. Haughey setzte eine offene Abstimmung durch. So wagte nur noch ein Drittel der Fraktion, die Hand gegen ihn zu heben. Die Rache des Siegers traf Reynolds nur wenige Minuten nach der Abstimmung am 9. November: Er wurde seinerseits auf die harten Hinterbänke verbannt. Reynolds ist jedoch unverdrossen und hat seine Träume, als farblosester Taoiseach (Premierminister) in die Geschichte einzugehen, längst nicht begraben. Schon Ende 1992 will er in der taz- Liste der Aufsteiger des Jahres stehen.

Einer seiner engsten Verbündeten bei der Vorbereitung des Haughey- Sturzes war der 40jährige Arbeitsminister Bertie Ahern. Als es jedoch darauf ankam, stimmte der „Mann im Anorak“ — wie er wegen seiner modischen Extravaganzen genannt wird — für Haughey. Die Doppelzüngigkeit wurde belohnt: Ahern wurde als Reynolds-Nachfolger zum Finanzminister ernannt und gilt inzwischen selbst als aussichtsreicher Kandidat für das Amt des Regierungschefs. Dabei ist der Mann alles andere als populär. Bei einem Schulbesuch sperrten ihn die Schüler in den Keller und verlangten zehn Pfund für die Klassenkasse. Als der Minister seine Brieftasche zücken wollte, rief einer der Väter sofort: „Ich zahle zwanzig Pfund, wenn ihr ihn drinlaßt!“

Das Amt des nächsten ist bereits in Abwicklung. Walentin Pawlow, 54, Ex-Premier der Ex-UdSSR, war 1991 wahrscheinlich der erfolgloseste Wirtschaftspolitiker der Welt. Heute sitzt er wegen seiner whiskyseligen Beteiligung am August- Putsch im Moskauer Gefängnis „Matrosenruhe“ hinter Schloß und Riegel.

Schon kurz nachdem ihn Michail Gorbatschow gegen den Widerstand des Obersten Sowjets der UdSSR als Regierungschef durchgeboxt hatte, experimentierte Pawlow mit einer ganz persönlichen Variante von Wirtschaftswunder: Über Nacht versuchte er die 35 Milliarden Rubel wieder zu konfiszieren, die er auf seinem vorhergehenden Posten als Finanzminister hatte drucken lassen. Drei Stunden gab er der Bevölkerung am 22. Januar Zeit, um die bisher gültigen 50- und 100-Rubel-Noten gegen neue auszutauschen: Es gab Tote und Verwundete. Der Finanzcoup war angeblich gegen die „Schattenwirtschaft“ gerichtet, traf aber vor allem die Rentner. Schon bald aber korrigierte der Premier diesen Fauxpas: durch den Druck weiterer Geldscheine.

Am 12. Februar verblüffte Pawlow die Welt erneut, diesmal durch die Behauptung, es seien vor allem die Privatbanken der Schweiz, Österreichs und Kanadas, die sich gegen Michail Gorbatschow verschworen hätten, um in der Sowjetunion eine Hyperinflation zu inszenieren. Durch seine investitionsfeindliche Anti-Markt-Politik verlieh er dem berühmten Pawlowschen Reflex neue Kraft: Die Spucke fließt, ganz ohne daß es etwas zu fressen gibt.

Mehr zu lachen gab es im fernen Osten. Seine tiefen Verbeugungen vor der Weltöffentlichkeit, seine Scham, die er in den Wochen vor seinem Rücktritt ständig zur Schau tragen mußte — über niemanden spottete die westliche Finanzwelt in diesem Jahr mehr als über Ryutaro Hashimoto. Der nämlich war bis zum 14. Oktober des Jahres der Erdkugel reichster Schatzmeister, sprich: japanischer Finanzminister. Zum Jahresbeginn galt der 54jährige sogar als aussichtsreicher Kandidat für den Posten des Premierministers, weil er wegen seines allseits gelobten Äußeren bei dem sonst nur wenig regierungsfreundlichen weiblichen Teil des Elektorats in hohem Ansehen stand. Doch auch das half ihm nicht weiter, als mit den Skandalen rund um die japanischen Banken und Wertpapierhäuser auch das eigene Ministerium in die Schußlinie geriet.

Schlimmer noch, sein persönlicher Sekretär mußte zugeben, ungedeckte Kredite über 17,8 Millionen DM von der Fuji-Bank erhalten zu haben. Hashimoto bezeichnete den Vorfall als „unentschuldbar“, nachdem er schon kurz zuvor sein eigenes Gehalt um zehn Prozent gekürzt hatte. Mit dem miesen Salär hielt er noch bis Oktober durch — seither kann er sich nun endlich wieder um die Familie kümmern. Hashimotos vielgerühmter Einsatz für seinen jüngeren Bruder Daijiro (44) verhalf diesem prompt zu einem Überraschungssieg bei den Gouverneurswahlen in der Präfektur Koji auf der Insel Shikoku. Statt wie sonst immer auf das große Kapital griff die Familie Hashimoto bei den Wahlen in Koji diesmal auf Unterstützung der Sozialdemokraten zurück — Ryutaro hatte es wohl nötig, ein paar neue Freunde zu gewinnen.

Über ihre Freunde diskutiert heute noch halb Brasilien. Leidenschaftliche Bewunderung, leidenschaftliche Liebe, leidenschaftliche Verachtung: Zelia Cardoso de Mello, Brasiliens Wirtschaftsministerin vom März 1990 bis zum Juni 1991, erstickte an der intriganten Luft in der Hauptstadt Brasilia. Vierzehn Monate lang bemühte sie sich vergeblich darum, dem Riesen Lateinamerikas seine Inflation auszutreiben.

Der Sprung vom Hörsaal der Universität Sao Paulo auf den wichtigsten Ministersessel des Landes machte die Ökonomin nicht nur zur mächtigsten Frau Brasiliens, sondern auch zur Nachbarin von Justizminister Bernardo Cabral. Tagsüber steckte der Anwalt seiner Geliebten unter dem Tischrand heimlich Liebesbriefe zu, nachts huschte er über den dunklen Gang in ihre Wohnung. Zwar bremste das Frühlingserwachen der Ministerin nicht die Inflation, doch wenigstens gelang es ihr, die männlichen Widersacher zum Schweigen zu bringen, die sie als „Dame ohne Unterleib“ verhöhnt hatten. — Die Romanze der einsamen Herzen in den endlosen Gängen brasilianischer Ministerien war von kurzer Dauer. Cabral mußte auf Anweisung von Präsident Collor sowohl Ministerium als auch Wohnung räumen. Zu Zelias Verdruß weigerte sich der gestandene Ehemann und dreifache Familienvater zudem beharrlich, seine Leidenschaft zu legalisieren.

Zelia schwor Rache. Nachdem auch sie einen Monat später ihres Amtes enthoben wurde, gab sie das Buch Zelia, eine Leidenschaft in Auftrag, das im Herbst erschien und sofort vergriffen war. Doch der öffentliche Hunger auf die unappetitlichen Bekenntnisse ist inzwischen in leidenschaftliche Verachtung umgeschlagen. Und das von der Ex-Ministerin nach ihrem Rücktritt gegründete Institut für Wirtschaftsberatung „Instituto Brasil“ in Sao Paulo mußte mangels Kunden zu Beginn dieses Monats seine Türen dichtmachen.

Die Schwierigkeiten mit der Jobsuche hat Helmut Haussmann inzwischen überstanden. Vier lange Monate war er arbeitslos. Da an ihm als Bundeswirtschaftsminister alle herummäkelten, wählte er selbst den Abgang und überließ das schmale Feld dem Karrieristen Jürgen Möllemann. Als gelernter Kaufmann stünden ihm alle Türen offen, glaubte der schwäbische Politiker, doch niemand wollte den Unglücksraben haben. Überall klopften seine Kontaktleute an — nichts. Auch Helmut Kohl sondierte mit — Fehlanzeige. Selbst in der Heimat, bei der von ihm gehätschelten baden-württembergischen Automobilindustrie wurde ihm die Klinke gereicht: Daimler wollte nicht in den Verruch geraten, man habe beim Schmieden des Konzernsterns (Haussmann hatte per Dekret den MBB-Kauf abgesegnet) unter einer gemeinsamen Decke gesteckt. Und bei Porsche konnte man sich den smarten Freidemokraten schlecht als Autohändler vorstellen.

Schließlich erbarmte sich ein Unternehmen jener Branche, die er um Unterstützung gebeten hatte: Die Unternehmensberater Grube, Titze& Partner aus Bad Homburg nahmen den arbeitslosen Ex-Minister in eine neue Anstellung auf.

Haussmanns Sorgen hatte ein entfernter Kollege aus dem Süden Europas nicht — der spanische Finanz- Staatssekretär José Borrell. Auf der Suche nach neuen Einnahmequellen für den Staat hatte er entdeckt, daß die letzte Revision der Eigentumssteuer ins Jahr 1982 datierte, als Spanien noch ein zurückgebliebenes Mittelmeerland war. Doch zwischen 1981 und 1990 lagen der EG-Beitritt und rapides Wirtschaftswachstum, vor allem aber eine zuvor nie dagewesene Grundstücksspekulation, die gleichermaßen die Preise für Land wie für Mieten in schwindelnde Höhen getrieben hatte. Mit einem Federstreich hob der findige Borrell nun die Eigentumswerte auf ihre „wirkliche“ Höhe an und forderte die daraus ermittelte Eigentumssteuer — im Durchschnitt ein Vielfaches der bisher gezahlten Summe.

Noch waren nicht alle Bescheide verschickt, da hagelte es bereits Proteste. Bei Nachbarschaftsvereinen und Parteien, im Finanzministerium selbst und in den Rathäusern bildeten sich lange Schlangen empörter Bürger. Bürgermeister riefen zum Widerspruch gegen die „Poll Tax“ auf. Daß die Bürger für eine Grundstücksspekulation, die etwa den Kauf einer Eigentumswohnung fast unmöglich gemacht hatte, nun außerdem noch durch erhöhte Steuern bestraft werden sollten, sorgte für einen Sturm der Entrüstung und hätte um ein Haar auch dem Chef des kleinen bebrillten Staatssekretärs, dem Wirtschafts- und Finanzminister Carlos Solchaga, den Posten gekostet.

In Großbritannien hat die Poll Tax zum Rücktritt der Premierministerin geführt; in Spanien nahm man die neue Verfügung — vorläufig — nur zurück. Der Wirtschafts- und Finanzminister amtiert weiter, der gewitzte Staatssekretär aber wurde befördert: Seit der letzten Regierungsumbildung im März dieses Jahres ist José Borell Minister für öffentliche Bauten und Städtebau.

Kein Ab-, aber immerhin ein Umsteiger ist der dreifach unionsgeschädigte Ex-Bundesbankpräsident Karl-Otto Pöhl (61). Dem Sozialdemokraten, der die Unabhängigkeit seines Hauses immer wie ein Fanal durch die BRD, durch Europa und die Welt getragen hatte, drückte der CDU-Bundeskanzler Kohl erst die deutsch-deutsche Währungsunion rein. Dann drohte auch noch eine Hals-über-Kopf-Variante auf EG- Ebene — die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Recht behalten hat Pöhl doch: Entgegen allen anderslautenden Ankündigungen wird es dort nun doch ein EG-Europa mit zwei Geschwindigkeiten geben — mindestens.

Jetzt ist er Mitinhaber des Kölner Nobel-Bankhauses Sal. Oppenheim, darf aber weiter in Frankfurt residieren. Einige auserlesene Aufsichtsratsmandate hat er ebenfalls angenommen. Pöhls Nachfolger bei der Bundesbank ist sein bisheriger Vize Helmut Schlesinger (66). Politisch unterscheidet er sich von Pöhl nicht nur dadurch, daß er als CSU-nah gilt; für das Bundeskabinett ist er auch pflegeleichter als sein Vorgänger — hatte der Kanzler nicht Schlesinger kurz vor dem EG-Gipfel von Maastricht zu sich gerufen, und wurden dann nicht die Leitzinsen erst nach dem Gipfel erhöht? — Den krassesten Unterschied gibt's allerdings im Auftreten der beiden. Während Pöhl als, sagen wir, sinnenfreudig gilt, erhielt Schlesinger auf dem IWF-Gipfel in Bangkok vom Kolumnisten eines Finanzfachblattes das Prädikat „Der deutsche Langeweiler“.

Vielleicht kann der ungarische Ministerpräsident József Antall eines Tages für sich in Anspruch nehmen, aus der lustigsten die absurdeste Baracke des Ostens gemacht zu haben. Ende November feuerte er seinen Nationalbankpräsidenten György Surányi.

Am Können Surányis, der seinen Ruf als erfolgreicher Reformer gegen Ende der Kádár-Ära begründete, hatte Antall nichts auszusetzen. Auf Surányis Konto geht es nämlich mit, daß die Inflation stagniert, der Schuldenberg von 20 Milliarden Dollar nicht wächst, die Zahlungsbilanz statt eines einkalkulierten Defizits ein 300-Millionen-Dollar-Aktivum aufweist, die Devisenreserven steigen und Ungarn als einziges osteuropäisches Land wieder private Kredite aus dem Westen erhält.

Dennoch ist Antall offenbar der Meinung, daß in einer derart wackligen Situation, wie sie zur Zeit in Ungarn herrscht, ökonomische Erfolge ein unnötiger Luxus sind, zumal wenn sie darauf basieren, daß genau das Gegenteil von dem gemacht wird, was die Regierung will (nämlich auf alles die hemmende Hand zu halten).

Surányis Verhängnis war seine Unterschrift unter eine oppositionelle Charta, die sich gegen staatliche Interventionen wandte. Fragt sich nun, wer als nächster drankommt. Vielleicht der parteilose Finanzminister Mihály Kupa, der sich für die erst nach heftigen Kontroversen verankerte Autonomie der Nationalbank stark machte?

Mit Privatbesuchen bei Surányi sollte er sich besser zurückhalten, sonst wird er noch wegen illegaler Kontakte zu Oppositionellen gefeuert. Mit Loyalität gegenüber der Regierung konnte schon Surányi nicht dienen, lediglich mit seinen Fähigkeiten. Aber Nationalpopulist István Csurka von Antalls Regierungspartei MDF meint sowieso, daß die ständige Betonung von Sachkompetenz ein bolschewistischer Trick der Opposition ist.

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