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Wissenschaft hat mit Ethik nichts zu tun

■ Jacques-Yves Cousteau, französischer Meeresforscher

Abdou Diouf: Afrikas Landwirtschaft ist außerstande, die Bedürfnisse seiner Bevölkerung zu befriedigen, tropische Krankheiten fordern immer mehr Menschenleben. Sind Sie der Meinung, daß es insbesondere mit Hilfe der Biotechnologie möglich sein wird, die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern?

Jacques-Yves Cousteau: Der sogenannte „Technologietransfer“ ist gescheitert, die besten afrikanischen Studenten haben nach ihrer Ausbildung in Amerika und in Europa dort fast immer eine besser bezahlte Stelle gefunden als in ihren Herkunftsländern. In den reichen Ländern ist Verschwendung zu einer Art Routine geworden, und und mit den neuen technologischen Möglichkeiten wird die Lösung der Ernährungsprobleme nur mit internationaler Solidarität möglich sein. Als 1969 Apollo auf dem Mond landete, hätte die erste Fotografie der Erde im Bewußtsein der Menschen eine Offenbarung auslösen können. Unsere Erde, Juwel des Sonnensystems, ist ein Raumschiff mit fünf Milliarden Menschen, die alle das gleiche Schicksal und die gleichen Ressourcen teilen.

Abdou Diouf: Die Entwicklungsländer, die kein Erdöl haben, müssen hohe Preise für den Import fossiler Energien zahlen. Gleichzeitig verfügt der Planet über enorme erneuerbare Energiequellen wie Sonnenenergie oder Biomasse, die ungenügend genutzt werden. Wie könnten die Länder des Nordens zu einer neuen Energiepolitik kommen, die allen Menschen zugute kommt?

Cousteau: Die Technokraten der Industrieländer haben systematisch Gas, Erdöl und Atomenergie der vielfältigen Sonnenenergie vorgezogen. Ein Beispiel dieser imperialen Haltung war die Art, wie die französische Elektrizitätsgesellschaft EDF (Electricité de France) das wunderbare Projekt der Gewinnung von Energie aus Meereswärme in Abidjan, der Hauptstadt der Elfenbeinküste, stoppte. Die Favorisierung der Atomenergie hemmt nicht nur die Entfaltung der Entwicklungsländer. Gefährlich ist sie auch für den Norden. Nicht zuletzt wegen der Produktion enormer Mengen von Plutonium, eines Elements, das so in der Natur nicht vorkommt, aber zukünftige Generationen Millionen von Jahren bedrohen wird.

Toshiki Kaifu: Bis jetzt waren Wissenschaft und Technologie von der Vorstellung geleitet, es gebe für sie keine Grenze. Diese Vorstellung ist heute erschüttert. In welche Richtung sollten sie sich nach Ihrer Meinung jetzt orientieren? Oder meinen Sie, daß es möglich ist, ihre Widersprüche zu überwinden und ihnen neue, unbegrenzte Entwicklungsperspektiven zu geben?

Cousteau: Um ihre Frage zu beantworten, muß ich auf eine sprachliche Konfusion eingehen, die in allen Sprachen existiert. Meiner Meinung nach sollte das Wort „Wissenschaft“ der reinen Forschung vorbehalten sein. Sie ist die Quelle allen Fortschritts, aber sie ist nicht für die Folgen verantwortlich. Die Wissenschaft ist dem Zuwachs des Wissens gewidmet und bleibt von den Anwendungsmöglichkeiten, die Techniker und Politiker sich ausdenken, unberührt. Daraus folgt, daß die Wissenschaft keine Grenzen kennt, außer denen des uns umgebenden Universums. Das trifft jedoch nicht zu auf die Technologie, die sich auf angewandte Wissenschaft und alle anderen Arten von Technik bezieht. Das Haupthindernis für die Entwicklung der Technologie ist die natürliche Begrenztheit von Energie, biologischen Ressourcen und Mineralien. Daraus ergibt sich ein Imperativ: ein Mehr an Dienstleistungen zu bekommen mit geringerem Verbrauch an Rohstoffen und Energie. Das Paradoxon ist nur scheinbar: durch die Miniaturisierung der Technologie, insbesondere der Computerelektronik, können wir uns eine Gesellschaft vorstellen, in der die Menschen zu Hause arbeiten und in der Ballungszentren aufgegeben werden zugunsten von zahlreichen kleineren Siedlungen. Dadurch würden enorme Energieersparnisse im Transportwesen möglich.

Jacques Delors: Halten Sie es für möglich, daß ethische Regeln weltweit durchsetzbar sind? Akzeptieren Sie als Wissenschaftler die Unterordnung der Wissenschaft unter die Ethik?

Cousteau: Man muß sich fragen, ob die Wissenschaft in das Prinzip des menschlichen Fortschritts direkt intervenieren sollte – mit dem Risiko, sich zu pervertieren. Um die Auswüchse der industriellen Entwicklung zu verhindern, wird die menschliche Gemeinschaft notwendige Schutzmaßnahmen zwischen der Grundlagenforschung einerseits und der Industrie, der Öffentlichkeit sowie der Geopolitik andererseits einrichten müssen. Die Staaten sollten einen Teil ihrer nationalen Souveränität einer hohen Autorität mit Kontrollinstanz abgeben, und die Vereinten Nationen sollten eine Charta verabschieden, die zukünftigen Generationen das Recht auf Freiheit und Würde gibt. Die Wissenschaft beschränkt sich auf die Suche nach Wissen und hat mit Ethik nichts zu tun. Die Allianz gegen die Natur aber – zwischen der Technologie und der primitiven oder lügenhaften Information, die von den Medien weitergegeben wird – sollte so schnell wie möglich ethischen Werten untergeordnet werden.

Jacques-Yves Cousteau begründete die Unterwasserforschungsgruppe der französischen Marine. Von 1957 bis 1989 war er Direktor des Oeanographischen Museum in Monaco und wurde berühmt durch die Expeditionen seines Forschungsschiffes Calypso.

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