: Jung Siegfried als Spielkarte
■ Die »Nibelungen-Werkstatt« im Treptower Studio Bildende Kunst
Fritz Lang hat den Stoff in ein zweischneidiges, weil in seiner Tendenz arisches Film-Epos verwandelt, Richard Wagner nahm ihn zur Grundlage seiner großen Operntrilogie. Bis heute gelten Die Nibelungen als die deutscheste aller deutschen Sagen, weil sie sich in ihren Werten, Idealtypen und Feindbildern wie ein Handbuch des Nationalsozialismus lesen.
Die vorgenommenen Wertungen lassen sich an der Disproportionalität der anfallenden Toten ablesen: der junge Siegfried metzelt, bevor er den Nibelungenschatz sein eigen nennt, ein ganzes Zwergenvolk nieder, am blutigen Ende von Etzels Gastmahl sind es gar Tausende von Hunnen, die von Hagen, Volker und der kleinen Schar der Burgunder erschlagen werden.
Neben den postulierten Werten — Kraft, männerbündische Treue, Kampf bis zum letzten Mann — wird aber auch die innere Verlogenheit des stilisierten Heldentums offengelegt. Sie besteht in List, Tücke und Betrug. So ist sich der »aufrechte« Siegfried nicht zu schade, unsichtbar unter der Tarnkappe Alberichs der Island-Königin Brunhild die Bezwingung durch den Burgunderkönig Gunter vorzugaukeln. Und Hagen, »kühner Recke« und Intrigant, begeht den schlimmsten aller Morde: von hinten bohrt er den Speer in Siegfrieds einzig verletzbare Stelle.
Man könnte weiter assoziieren und würde in der Nibelungensage — diesseits und jenseits der Ideologie — eine historische und psychologische Modellhandlung entdecken: eine Tragödie aus Intrige, Eifersucht und jener Verknüpfung von Handlungselementen, die gemeinhin Schicksal genannt wird.
So ist die Sage nicht zuletzt auch tragikomisch und naiv-anrührend: wenn etwa Brunhild, in Siegfried verliebt, ihrem scheinbaren Bezwinger Gunter folgt, welcher doch Siegfried war; wie sie ihn eine Nacht lang kurzerhand an einem Haken aufhängt; wie dem jungen, schönen und kräftigen Siegfried ein doch nur kurzes Leben beschert ist; wenn Kriemhild durch die eigene Dummheit die Grundlage ihrer Rachegelüste legt, indem sie dem Mörder Hagen das einzige Loch im Hautpanzer ihres Gatten durch ein genähtes Kreuz auf seinem Gewand bezeichnet.
Den vielen Bezügen, Interpretationszügen, die die Nibelungensage eröffnet, gehen die zehn Künstlerinnen und Künstler nach, die sich im Treptower Studio für Bildende Kunst zu einer »Nibelungen-Werkstatt« zusammengefunden haben. Das Projekt trägt experimentelle, aber durchaus auch pädagogische Züge und verfolgt ein hehres Ziel. Durch den Werkstattcharakter — »zu Beginn des Projekts sind einige Arbeiten zum Thema bereits sichtbar, während andere während der Ausstellung entstehen und zu Beginn erst fragmenthaft oder als Skizze vorhanden sind« — sollen nicht nur Künstler unterschiedlichster Provenienz ihre Aussagemodi mit- und gegeneinander reflektieren, sondern auch die Öffentlichkeit in den Entstehungsprozeß von Kunst einbezogen werden.
Diesem Anspruch haben vor allem Udo Klemmer und Hans Ellerfeld Rechnung getragen. Beide Künstler haben zu Beginn des Projekts zunächst Elemente und Rohmaterialien bereitgestellt, die in seinem Verlauf zu raumgreifenden Installationen ausgearbeitet werden. Von den bereits fertiggestellten Arbeiten vermögen vor allem die Tafelbilder von Marianne Schröder direkt zu überzeugen. Ironisch hat sie vier Hauptfiguren des Nibelungenliedes — Siegfried, Kriemhild, Brunhild und Hagen — zu spielkartenähnlichen Motiven verarbeitet, indem sie sie mit mehr oder minder typischen Insignien versehen hat: Der naiv-romantisch blickende Siegfried wird von braven Drachen umschwärmt, Brunhild, die reichlich nackte Amazone, trägt den gefesselten Gunter am Hüftgürtel, und Hagen eine am Unterleib entflammte Kriemhild als Amulett.
Marianne Schröder zeigt damit nicht nur die Banalität der Figuren auf, sie verweist auch auf den Charakter des Spiels im Umgang mit Bedeutung: zwar werden die Karten Runde für Runde neu ausgegeben, werden die Chancen neu verteilt, das Reglement bleibt im Kern aber gleich. Befreiung und Verhaftung sind identisch.
Eine abstraktere Freiheit im Umgang mit den Nibelungen hat sich Martin Claus ausgenommen: Über eine Reihe am Boden ausgelegter Fotos schreitet man auf ein an der Stirnseite des Raumes gehängtes Gesicht zu: »Straße der Besten — Requiem für verladene Helden« heißt die Foto- Rauminstallation, in der sich die gezeigten Gesichter durch eine geschickte Ausleuchtung in spurenhafte Unwirklichkeiten verwandeln.
Indem die Ausstellung zehn künstlerische Aussagen zum Nibelungen-Thema anbietet, zeigt sie nicht zuletzt, welche Kluft heutzutage zwischen ästhetischem Ausdruck und historischer Problematik besteht. So ensteht oft der Eindruck, daß die beteiligten Künstler ihre Befindlichkeit und ihren Stil über den Stoff herübergehängt haben. Womit aber immerhin Drachen, Dracheneier, Schlachtfelder und Totengräber garantiert sind. Bernd Gammlin
Nibelungen-Werkstatt im Studio Bildende Kunst, Baumschulenstraße 78, Bezirk Treptow, Mo-Fr 13-18 Uhr, So 14-18 Uhr. Die Ausstellung wird von einem Rahmenprogramm begleitet. Hier die Termine: 8.1., 20 Uhr: Vortrag von Peter Emmerich; 15.1., 20 Uhr: Hörspiel von Bert Koß; 17.1., 20 Uhr: Gestisches Theaterprojekt; 18.1., 20 Uhr: Gestisches Theaterprojekt und 22 Uhr: »Abgesang«.
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