: Der Drahtzieher der Rabta-Affäre
Drei Jahre nach der Enttarnung der Giftgasfabrik im libyschen Rabta präsentiert jetzt ein TV-Team des Südwestfunks einen bislang im dunkeln gebliebenen Drahtzieher der Affäre Rabta. Wie kam die Chemiefirma Imhausen aus Lahr ins Geschäft, war eine der Fragen, die auch im Prozeß gegen Jürgen Hippenstiel nicht geklärt werden konnte. Über den Mann, der Gaddafis Aufkäufer nach Lahr und damit die Äffäre ins Rollen brachte, berichten ■ STEFAN ROCKER UND STEPHAN WELS
Eine schmucke Villa am höchsten Punkt des Dorfes, der Blick frei auf die nicht weit entfernte Ruine einer Scaliger-Burg und natürlich auf den Südzipfel des Gardasees. Oberitalienische Bilderbuchidylle. Hier, in den großzügig angelegten Neubausiedlungen rund um Soiano del Lago, fallen deutsche Anwohner nicht weiter auf. Ein idealer Ort für vermögende Ruheständler. Daß an Samstagen die Motoren der Rasenmäher lärmen, stört auch nicht weiter; etwas muß ja noch an die deutsche Gemütlichkeit nördlich der Alpen erinnern. Kaum einer der Nachbarn allerdings wird vermuten, daß der Pensionär, der hier allwöchentlich seinem Rasen einen peniblen Stoppelschnitt verpaßt, ein Giftgasdealer ist. Und hier in der Nähe des Städtchens Salo, in dem Mussolini bis Kriegsende die Reste seiner faschistischen Republik verteidigte, sorgt das Aussehen des Deutschen, der sehr zurückgezogen mit Frau und Hund lebt, vielleicht eher für ein Schmunzeln denn für Aufregung. Volker Weißheimer, ein rüstiger 71jähriger, untersetzt mit Bauch, im kurzärmeligen Hemd, die Haare mit Pomade geglättet, schwarz gefärbt und sorgsam nach rechts gekämmt; ein strammes, schmales Oberlippenbärtchen, auch schwarz, in der Mitte ausrasiert: eine zugegeben etwas lächerliche Hitler-Karikatur. Das soll der Mann sein, der die ersten Skizzen für die Giftgasfabrik im libyschen Rabta gezeichnet hat, noch bevor die berüchtigte Imhausen-Chemie das Millionengeschäft auch nur gerochen hatte?
Der Mann im Hintergrund
Seit der bisher größte deutsche Exportskandal vor genau drei Jahren aufflog, gab es viel zu tun für die deutsche Justiz. Im September vergangenen Jahres verurteilte das Mannheimer Landgericht drei Imhausen-Manager zu Haftstrafen. Sie waren die Konstrukteure der Kampfstoffanlage in Rabta. Schon ein gutes Jahr zuvor mußte Firmenboß Jürgen Hippenstiel-Imhausen Bekanntschaft mit deutschen Gefängnissen machen. Ihn schickte der Kadi für fünf Jahre hinter Gitter. In U-Haft warten derzeit noch der Chefchemiker der Imhausen-Chemie, Hans-Joachim Renner, sowie der Ex-Geschäftsführer der ehemals bundeseigenen Salzgitter Industriebau GmbH (SIG) Andreas Böhm auf ihren Prozeß. Die SIG hatte die Detailplanung für die libysche Giftgasküche gefertigt. Gegen ein weiteres Dutzend Personen laufen noch Ermittlungsverfahren. Aber sind damit wirklich alle Verantwortlichen erfaßt? Auch nach zwei aufwendigen Strafprozessen sind in der Causa Rabta zentrale Fragen unbeantwortet: Von wem bekamen die Imhausen-Planer ihre Vorgaben? Woher hatten die Libyer die Rezepturen? Und wieso stand Gaddafis Generalunternehmer für das „Technology Center“ Rabta, der irakische Busineßman Dr. Ihsan Barbouti, eines Tages mit seiner Einkaufsliste ausgerechnet bei der Firma Imhausen im südbadischen Provinzstädtchen Lahr auf der Matte? Wer führte ihn dort ein?
Letzten Sommer meldete sich überraschend ein Mitarbeiter der Firma Imhausen. Er erzählte von einem Mann im Hintergrund, der immer noch frei herumlaufe und dessen Namen bisher noch nie genannt wurde: Volker Weißheimer. Dieser Mann, so offenbarte der Imhausen- Insider Reportern des Südwestfunks, habe 1984 den Dr. Barbouti nach Lahr gebracht. Weißheimer habe dann bis 1986 immer wieder an Planungssitzungen für das Projekt Pharma 150, so die Tarnbezeichnung für Rabta, teilgenommen. Welche Rolle Weißheimer bei Pharma 150 letztlich spielte, sei ihm nie klar geworden, erklärte der Imhausen- Mitarbeiter. Aber seltsam fand er es schon, daß ihn weder Staatsanwaltschaft noch Bundeskriminalamt jemals nach dieser Person befragt hätten. Allerdings: Mehr als den Namen hätte er auch nicht zu Protokoll geben können. Er wisse nicht einmal, woher der Mann gekommen sei.
Carlsberg, ein kleines Provinznest am Rande des Pfälzer Waldes. Villengegend. Ein leerstehendes Haus. Der Putz bröckelt schon. Der parkähnliche Garten verwildert; das Türschild abmontiert: seit vier Jahren ist das ehemals stattliche Anwesen verwaist. Die Nachbarn erzählen, der letzte Bewohner habe das Haus 1987 zusammen mit Ehefrau und Hund in einer Nacht-und-Nebel- Aktion verlassen. Seitdem sei er nie wieder aufgetaucht. Sein Name: Volker Weißheimer. Auf dem Einwohnermeldeamt heißt es: Weißheimer habe sich nach Taiwan, seine Gattin nach Singapur abgemeldet, allerdings ohne genaue Adressenangabe.
Spuren im libyschen Wüstensand
Der Ex-Bürgermeister von Carlsberg Heinrich Knappe erinnert sich noch: Vor Weißheimers Villa seien oft Diplomatenkarossen aus Bonn vorgefahren, meist mit Kennzeichen arabischer oder afrikanischer Botschaften. Weißheimer habe ihm, kurz bevor er verschwand, auch mal von einem Projekt in Libyen erzählt, an dem er zusammen mit einer Firma Imhausen arbeite. Er habe auch Andeutungen fallen lassen, daß es dabei um waffentechnische Entwicklungen ginge. Ein Projekt, das er selbst entworfen habe. Dafür sei er auch schon mehrmals in Libyen gewesen. Doch das will der Ex-Bürgermeister damals nicht ernst genommen haben. Weißheimer sei zwar ein schillernder Geschäftsmann mit internationalen Kontakten, aber eben auch als Angeber und Hochstapler bekannt gewesen.
„RMS — Volker Weißheimer Gruppe“ — so titulierte die Firma offiziell. Wobei das „Gruppe“ schon reiner Bluff war. In Wahrheit war Weißheimer ein Eigenbrötler, seine „Gruppe“ eine Einmann-Firma, das Zeichenbüro in seinem Haus eingerichtet. Aber er war auch ein technisches Multitalent, diplomierter Verfahrenstechniker mit guten chemischen Kenntnissen, der modernste Umweltschutzanlagen ebenso plante und verkaufte wie kleine Stahlwerke nach Fernost und Miniraffinerien nach Afrika. „World-Chemie und Nuclear Engineering“ protzte er auf seinen Briefköpfen. Den Firmensitz plazierte er im Steuerparadies der Kanalinsel Jersey. Welch seltsame Geschäftspartner Weißheimer mitunter hatte, zeigt ein Firmenprospekt, in dem seine „Auslandsvertretungen“ aufgeführt sind. Als Repräsentant der „Weißheimer-Gruppe“ für Spanien und Nordafrika taucht darin ein prominenter Alt-Nazi auf: der ehemalige SS-Offizier Otto Skorzeny. Ein Idol des Dritten Reiches, der 1943 im persönlichen Auftrag Hitlers mit einer kleinen Fallschirmjägertruppe in einer Kommandoaktion den italienischen Faschistenführer Mussolini befreite. Wie so viele alte Kameraden wählte Skorzeny nach dem Krieg Francos Spanien als neue Heimat. Dort avancierte er zum dubiosen Geschäftsmann, der in Waffengeschäfte mit dem Nahen Osten verstrickt war. Nach jüngsten Veröffentlichungen soll Skorzeny zusammen mit dem ehemaligen Eichmann-Vertrauten Alois Brunner auch in das libysche Raketenprogramm rund um die deutsche Firma OTRAG verwickelt gewesen sein. Auch nach dem Tod Skorzenys 1975 pflegte Weißheimer die Nazi-Connection weiter. Fast jedes Jahr traf sich in einem Frankfurter Hotel, so ein Insider, ein Skorzeny-Kameradenkreis, zu dem auch Weißheimer gehörte. Seltsame Geschäfte wurden dort besprochen. Da ging es schon mal um Finanzgeschäfte mit Fluchtgeldern des Schahs von Persien. So kam es Ende der 70er Jahre auch zu merkwürdigen Geldgeschäften Weißheimers mit der australischen Nogan-Hand-Bank. Später, nach dem spektakulären Zusammenbruch dieser Bank, stellte eine australische Regierungskommission fest, daß das Institut von Ex-CIA- Mitarbeitern für die Finanzierung verdeckter Operationen benutzt wurde. Auch millionenschwere Rüstungsgeschäfte mit Libyen wurden über die Skandalbank finanziert.
Doktor Barbouti
Weißheimer prahlte gern mit seinen Verbindungen, gab an, er habe schon im Dritten Reich an Waffenentwicklungen gearbeitet, sei bei der Luftwaffen-Erprobungsstelle Rechlin, einer Dependance der Geheimwaffenschmiede von Peenemünde, beschäftigt gewesen. Nach dem Krieg legte er sich einen Doktortitel zu. Das brachte ihm ein Ermittlungsverfahren wegen Titelanmaßung ein. Immer wieder liefen Ermittlungen gegen ihn, oft wegen undurchsichtiger Finanzgeschäfte. Gläubiger mit teilweise sechsstelligen Forderungen standen ebenso vor seiner Tür wie die Steuerfahndung. Doch bei Weißheimer war nichts zu holen. 1984 meldete er den Bankrott seiner Firma an; seit 1987 ist Weißheimer für seine Gläubiger unauffindbar: unbekannt verzogen.
Zurück zum Jahreswechsel 1983/84. Zu jener Zeit weilte Volker Weißheimer wiederholt in London. Dort besuchte er Dr. Barbouti, den er schon seit Jahren kannte. Mit ihm zusammen hatte er einmal ein Projekt im westafrikanischen Benin finanzieren wollen, eine Raffinerie für Schmierfette. Mit ihm palaverte er, so ehemalige Weißheimer-Freunde, auch immer wieder über ominöse Waffenentwicklungen, querbeet durch die Welt der ABC-Waffen. Auf diesem Gebiet war Barbouti zu Hause. Nach neuesten Erkenntnissen muß er zu den größten Waffenhändlern der letzten 20 Jahre gezählt werden. Ein Exil-Iraki mit einer weltweit operierenden Firmengruppe unter dem Kürzel IBI — Ihsan Barbouti International — mit Hauptsitz in London. Barbouti hatte seine Finger bereits im irakischen Giftgasprogramm, das Mitte der 70er Jahre startete. Es wurde wesentlich von Deutschen beliefert, etwa von den hessischen Firmen Karl Kolb und Pilot-Plant sowie dem Hamburger Unternehmen W.E.T. Dessen Boss, Peter Leiffer, so fanden westliche Geheimdienste mittlerweile heraus, war ebenfalls mit Barbouti bekannt. Aber nicht nur der Irak war Barboutis Arbeitsfeld; immer mehr rückte Libyen ins Zentrum seiner Aktivitäten. Dort soll Barbouti zunächst am Atomprogramm beteiligt gewesen sein und vermutlich auch an der Entwicklung einer Feststoffrakete. Schließlich erhielt Barbouti seinen fettesten Auftrag: die Beschaffung modernster Chemiewaffen. Da mag es sich gut getroffen haben, daß er wieder einen Deutschen zur Hand hatte: Volker Weißheimer, ein Mann für alle Fälle und dazu ein Mann, der 1983/84 wieder mal in akuten Geldnöten steckte. Immer wieder reiste Weißheimer nun zu Barbouti nach London.
England galt Insidern in Sachen Giftgas lange als erste Adresse. Dort wurden nach dem Krieg führende Wissenschaftler aus Nazi-Deutschland interniert, unter ihnen auch die deutschen Chemiewaffen-Ingenieure. Sie wurden von Geheimdienstlern und Militärs ausführlich über ihre Arbeit befragt. Diese Aufzeichnungen kommen einem Lehrbuch über die industrielle Herstellung von Kampfgasen, z.B. Sarin, Soman und Lost gleich. Von den Mixturen bis zur Auswahl der Materialien. Ein Teil dieser Befragungsprotokolle wurde in Londoner Archiven Mitte der 70er Jahre freigegeben. Dort haben sich, so steht inzwischen fest, auch die Iraker mit Giftgasgrundwissen versorgt. Das ging sogar so weit, daß sie bei deutschen Firmen, die in den Protokollen genannt werden, wegen bestimmter Vorprodukte für Kampfstoffe vorsprachen, obwohl diese Firmen seit dem Krieg eine völlig andere Produktpalette herstellten. Aber mittlerweile schrieb man das Jahr 1984, und die Verfahrenstechnik mußte auf den modernsten industriellen Stand gebracht werden. Fing Weißheimer als erster damit an? Wurde die libysche Giftgasfabrik von einem Alt-Nazi auf der Basis von Nazi-Know-how geplant? Erwiesen ist: Die ersten Rabta-Pläne kamen von Weißheimer, und sie stammten aus London.
Ein Bauleiter für Rabta
Im April 1984 klingelt bei dem Industrieplaner Otto Hinze das Telefon. Am Apparat ist Volker Weißheimer, für den Hinze, der bei einem großen Ingenieurbüro angestellt ist, schon früher gearbeitet hat. Das letzte Mal 1983; da ging es um den Bau einer modernen Recyclinganlage in Landau. Das Projekt lief zwar schief und führte mit zum Bankrott Weißheimers; aber der hatte Vertrauen zu Hinze gefaßt und bestellte diesen nun zu sich nach Carlsberg. Dort breitete er Pläne vor dem Gast aus. Die habe er, so Weißheimer, aus London mitgebracht. Es handele sich um eine Chemiefabrik für Libyen, der Standort liege in der Nähe von Tripolis.
Hinze erinnert sich: „Auf dem Plan, der mir vorgelegt wurde, waren von seiner Hand eingetragene Maschinen-Elemente, Chemieanlagenteile, Rohrleitungen. Das war bereits als Diskussionsgrundlage vorhanden.“ Neben der Chemiefabrik, so sahen es diese ersten Pläne vor, sollte eine merkwürdige Grube ausgehoben werden. 180 Meter lang, 25 Meter breit und 35 Meter tief. Die Grube sollte streng nach Norden ausgerichtet und mit einer deutlichen Schräge versehen sein. Weißheimer wollte damals nicht erklären, wozu diese seltsame Grube gut sei. Hinze hatte schon damals seine Zweifel. Im nachhinein spekuliert er: „Wenn ich jetzt Bilder aus dem Irak gesehen habe mit der Superkanone, dann denk' ich mir, das mit der Grube sah auch nicht anders aus.“ Sollte neben der Giftgasfabrik womöglich gleich eine Abschußrampe für Trägersysteme gebaut werden? Und wenn ja, gegen welches Ziel? Steckte dahinter vielleicht die Wahnsinnsidee Gaddafis, die Nato-Basen in Sizilien zu beschießen? Oder war das Ganze nur eine größenwahnsinnige Spielerei Weißheimers, der ja schon als Nazi- Techniker an der Entwicklung von Superwaffen mitgearbeitet haben will?
Trotz Bedenken signalisierte Hinze zunächst sein Einverständnis, nach Libyen zu gehen. Einige Wochen später, im Mai 1984, erhält er ein Telex von Weißheimer: „Bitte rufen Sie morgen früh 7 Uhr 30 Herrn Dr. Barbouti Carlsberg 496 an / Dr. Weißheimer.“ Wenig später treffen sich Hinze und Barbouti im Frankfurter Hotel Interconti. Sie sprechen über die Pläne, die Weißheimer Hinze vorgelegt hatte, auch über diese merkwürdige Grube. Barbouti gibt sich als Generalbevollmächtigter Gaddafis aus. Er ist äußerst mißtrauisch, will nicht länger im Hotelzimmer verhandeln und geht mit Hinze auf der Zeil spazieren. Hinze: „Nachdem wir uns beschnuppert hatten, wiederholte er dort noch einmal sein Angebot, daß ich als Bauleiter für diese Chemiefabrik nach Libyen gehen könne. Geld spiele keine Rolle.“ Auch Barbouti und Hinze werden sich einig. Doch es passiert etwas, das die beiden dann doch trennt. Barbouti stellt nämlich eine merkwürdige Forderung. Hinze: „Er sagte, wenn Sie die Bauführung übernehmen, werden Sie Unterbauführer, also Europäer, mitnehmen müssen. Und er habe eine Bedingung: Alle Europäer, die ich mitbringe, müssen gestandene SS- Leute sein. Und da machte es bei mir Klick!“ Obwohl Hinze schon bei Weißheimer eine deutliche Braunfärbung festgestellt hatte, dieses Ansinnen Barboutis ging ihm doch zu weit. „Ich hab' Barbouti noch scherzhaft gefragt, ob ich denn diese SS-Opas im Rollstuhl über die Baustelle fahren soll.“ Aber sein Entschluß stand da schon fest: Hinze lehnte den Rabta-Job ab.
Ein Chemiewaffenexperte
Noch bevor Weißheimer und Barbouti sich um einen Baufachmann für Rabta kümmerten, hatte Weißheimer schon ganz andere Kontakte zu knüpfen gesucht. Anfang 1984 bekam Prof. Adolf-Henning Frucht in Berlin seltsamen Besuch. Frucht, ein international bekannter Kampfgasexperte und Ex-Spion, war damals 71 Jahre alt. Als DDR-Wissenschaftler hatte Frucht brisante Interna aus den Kampfstofflabors des Ostens an die CIA geliefert und dafür zehn Jahre in Bautzen gesessen, bevor er 1976 vom Westen freigekauft wurde. Frucht war auf der Suche nach einem einträglichen Zubrot, als Volker Weißheimer bei ihm aufkreuzte. Frucht rückblickend: „Weißheimer gab vor, mit mir über Verfahren zur Beseitigung industrieller Altlasten sprechen zu wollen. Doch das war nur vorgeschoben. In Wahrheit ging es ihm um die Synthese von Kampfstoffen.“ Nach Angaben Fruchts kam es noch zu einem weiteren Treffen mit Weißheimer in Carlsberg: „Weißheimer hatte das eigentümliche Gebaren von Altnazis. Er kannte sämtliche Leute, die im C-Waffenbereich im trüben fischen. Es war viel Geld im Spiel. Und er machte den Eindruck, als habe er sehr weitreichende rückwärtige Verbindungen.“ Das alles will Frucht nicht gepaßt haben. Er lehnte eine Zusammenarbeit ab. Damalige Vertraute Weißheimers berichten allerdings, es sei zu weit mehr Treffen zwischen Weißheimer und Frucht gekommen. Gleichwohl, das alles zeigt: Weißheimer war schon zu Beginn des Jahres 1984 auf der Suche nach Experten, die seinen Giftgasplänen den letzten Schliff verleihen sollten.
Der Imhausen-Coup
Etwa im Juli 1984 stand Volker Weißheimer schließlich bei der Firma Imhausen in Lahr vor der Tür. Dort kannte er den zweiten Geschäftsführer und Chefchemiker Hans-Joachim Renner von früher her und kündigte diesem telefonisch seinen Besuch an. Er werde einen Araber mit einem interessanten Geschäft mitbringen: Dr. Ihsan Barbouti. Dieser erste Besuch Barboutis in Lahr ist in den umfangreichen Akten der Staatsanwaltschaft festgehalten. Was den Rabta-Ermittlern aber bis heute entging: Volker Weißheimer war es, der Barbouti in Lahr einführte. Zusammen mit Jürgen Hippenstiel-Imhausen, Hans-Joachim Renner und dem späteren Projektleiter für Pharma 150 Eugen Lang fand die erste Rabta-Besprechung statt. Bis 1987 nahm Weißheimer sporadisch immer wieder an Planungssitzungen in Lahr teil. Zwar vermuteten die Staatsanwälte wie auch spätere Gerichtsgutachter schon immer einen Unbekannten im Hintergrund. Denn Imhausen allein besaß nicht das nötige Know-how zur Giftgassynthese. Als Imhausen mit der Planung begann, so die Vermutung, mußten schon umfangreiche Vorarbeiten geleistet worden sein. Doch jeder konkrete Hinweis auf diesen Mister X fehlte.
Die Spuren Weißheimers waren in der Firma sorgsam verwischt worden. Eine ehemalige Sekretärin: „Ich bekam 1986 von unserem zweiten Geschäftsführer Renner die Nummer von Weißheimer. Bis 1987 ließ Renner sich fast alle 14 Tage mit ihm verbinden. Es wurde eine große Geheimniskrämerei um die Person gemacht. Einmal kam Hippenstiel und fragte mich, ob ich die Nummer von Weißheimer habe. Ich sagte ja; da fuhr er mich an, woher ich die habe. Er war sichtlich verärgert. Als das Geschäft dann aufflog, wurde ich angewiesen, seinen Namen aus den Büchern zu streichen.“ Die Tätigkeit Weißheimers für Rabta ist bis heute nicht aktenkundig.
Weißheimers Verkaufsladen
Weißheimer, der 1984 bankrott war, reiste plötzlich wieder in der Welt herum. In Libyen soll er mehrmals gewesen sein, dann aber immer häufiger in Fernost. 1986 bereist er Hongkong, Rotchina, Taiwan. Er trifft, zufällig oder nicht, einen englischen Geschäftsfreund aus dem Umfeld Barboutis. Offen erzählt er diesem den Zweck seiner Reisen: „Weißheimer machte keine Geheimnisse um seine Geschäfte. Er sagte mir: Erst habe ich Libyen die Anlage verkauft, jetzt auch Taiwan. Mit ein und derselben Geschichte kann ich zweimal Geld machen.“ Nur eine Hochstapelei Weißheimers? 1987 ist er wieder in Taiwan, hält Vorträge an der dortigen Militärakademie. Offiziell geht es um Umweltprojekte. Doch schon vorher hat Weißheimer in einem Brief an einen Freund in Deutschland geschrieben: Er solle in Taiwan ein „Technology Center“ bauen, das u.a. „Chemieanlagen“ herstellt. Technology Center und Chemieanlage — die gleiche Sprachregelung wie in Rabta. Zufall? Auch Zufall, daß 1988, so erzählt man sich bei Imhausen, zwei leitende Angestellte, die auch am Projekt Pharma 150 gearbeitet hatten, nach Taiwan reisten? Und Zufall auch, daß im Kreis der Rabta-Mitarbeiter 1988 von lukrativen Nachfolgegeschäften die Rede war? Ein Firmenmitglied: „Wir hatten eine kleine Weihnachtsfeier. Da sprach Renner davon, daß wir jetzt bis ins Jahr 2000 ausgesorgt hätten, da wir einen großen Auftrag an Land gezogen hätten. Wir hätten dabei aus der Erfahrung des alten Projektes heraus ja schon sehr viel Vorleistungen erbracht. Und dabei fiel das Wort Taiwan.“ Bislang allerdings haben weder westliche Geheimdienste noch die Ermittler hierzulande irgendeinen Hinweis darauf, daß die Kopien der Giftgaspläne tatsächlich an Taiwan verkauft wurden. Aber das Modell Rabta, das ist sicher, sollte weiter verhökert werden.
Idylle am Gardasee
Es liegt nach wie vor einiges im dunkeln, auch über die tatsächliche Rolle Weißheimers im Giftgas-Deal mit Libyen. Er war der erste Planer der Kampfstoffabrik, er hat den Kontakt zwischen Barbouti und Imhausen hergestellt. Er hat offensichtlich auch die Arbeiten bei Imhausen anfangs begleitet. Doch war er tatsächlich der alleinige Know-how-Geber im Hintergrund? Jene, die es wissen müßten, die führenden Imhausen- Manager, schweigen bis heute trotz Haft. Mag sein, um sich selbst zu schützen, mag aber auch sein, um anderen die Haft zu ersparen. Zum Beispiel Volker Weißheimer. Der hat sich nicht nach Südostasien abgesetzt, wo ihn seine Gläubiger suchen. Er führt vielmehr ein beschauliches Pensionärsleben am Gardasee.
Er ist geschockt, als ihn dort im Herbst 1991 ein Südwestfunk-Team aufstöbert. Beim samstäglichen Rasenmähen, wie es sich für einen anständigen Deutschen gehört. Aber ein Deutscher will er nach eigenen Angaben gar nicht mehr sein. Er sei aus politischen Gründen ausgewandert. Er hasse die Deutschen und das Grundgesetz. Auf Hitler sei er stolz, von dem habe er sogar einen handschriftlichen Brief, in dem der Führer seine, Weißheimers Forschungen zu den Spezialwaffen lobe. Ein verrückter alter Mann? Ach ja, übrigens: Weißheimer bestreitet sämtliche Giftgasvorwürfe.
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