Frankreichs Finanzminister sieht rot

■ Minitel-Sex-Kanäle: Den „fünf kleinen Schweinchen“ geht's an den Kragen

Paris (afp) — Frankreichs „fünf kleinen Schweinchen“ geht es an den Kragen: Nachdem Familienvereinigungen seit Jahren vergeblich versucht haben, das Bildschirmtextsystem Minitel von Sex-Botschaften und eindeutig zweideutigen Kontaktanzeigen zu säubern, plante der sozialistische Haushaltsminister Michel Charasse, die Steuerschraube anzuziehen. Pornokanäle, die „Gegenstand von Werbung jeder Art“ sind, sollen laut Parlamentsbeschluß ab Jahresbeginn 92 fünfzig Prozent Steuern auf ihre „unmoralischen Geschäfte“ abführen — was für die meisten das endgültige Aus bedeutet.

Heftig protestierten im Namen der Freiheit die Anbieter, darunter so bedeutende linke Pressegruppen wie 'Liberation‘ oder 'Le Nouvel Observateur‘, die an der sexbezogenen Btx-Sparte satt verdienen. „Wir sind weniger pornographisch als der bibliophil verlegte Sade“, empört sich Michel Sitbon, Direktor von zwölf Minitel-Diensten.

Der Streit um das elektronische Bettgeflüster zum Tarif von 1,25 Francs (37,5 Pfennige) pro Minute ist so alt wie das Minitelsystem, das ursprünglich keine Kommunikationsfunktion hatte. Sie entwickelte sich spontan, nachdem Piraten vor zehn Jahren den Programmcode des „GRETEL“-Netzes der Straßburger Regionalzeitung 'Les Dernieres Nouvelles d‘Alsace‘ geknackt hatten. Ernst genommen wurden die Vergnügungskanäle erst, als die Zahl der Verbindungsstunden bei der Tageszeitung 'Le Parisien Libere‘ 1985-86 die einsame Spitze von 210.000 Stunden im Monat erreichte.

Bei 5,8 Millionen angeschlossenen Geräten in privaten Haushalten und Firmen erzielen heute rosarote Sex-Vertriebsnetze in dem nur Medienunternehmen zum Sondertarif zugänglichen Netz 3615 einen geschätzten Umsatz von 1,5 Milliarden Francs (450 Millionen Mark) im Jahr. Diesen Umsatz teilen sich im wesentlichen rund 30 Großanbieter und France Telecom. Das Postunternehmen, das kräftig mitverdient, gesteht verschämt, lediglich 15 Prozent seiner Einnahmen stammten aus den Schmuddelkanälen, während es in Wirklichkeit wohl mindestens ein Drittel sind. Die pikanten Angebote seien nur eine Kinderkrankheit des Systems, allenfalls ein „Nischenmarkt“. Das Interesse lasse deutlich nach und mache nur mehr vier Prozent der Anrufe und 13 Prozent der Gesamtnutzung aus.

Dem Markt fehle die Transparenz, meint Laurent Klein vom privaten Rundfunksender NRJ. Nach seinen Angaben wenden manche Dienste 50 bis 80 Prozent ihres Umsatzes für Werbung auf. Laszive Schöne, die nackt auf allen Vieren von großen Plakatwänden oder in Anzeigenblättern einladen „Komm auf 3615“, werden als öffentliches Ärgernis von Provinzbürgermeistern immer häufiger verboten. Sexprogramme verstecken sich in scheinbar harmlosen Spiel- und Freizeit-Programmen. Nach einer Meinungsumfrage des Louis-Harris-Instituts sind jedoch 89 Prozent der Franzosen gegen ein Verbot der rosa getönten „Messagerien“, die rund 5.000 Angestellte beschäftigen.

Eifrige Nutzer der Sexangebote sind Informatik-Profis, die sich unter einem suggestiven Synonym beim frivolen Spiel mit „Aline“ oder „Ulla“ nachts den Alltagsfrust und die Einsamkeit von der Seele klimpern, oder Postler, die über einen privilegierten Zugang verfügen. Die Teletel-Netze ermöglichten in der Vergangenheit auch immer wieder Betrügereien, Verführung Minderjähriger und sogar sadistische Verbrechen, deren Aufklärung die Anonymität des Mediums erschwert.

Die Branche müsse saniert werden, aber unter dem Druck der Profis selbst, betonen Louis Roncin und Michel Meniez, die als „Väter“ von Skandalkanälen wie CUM oder NERON zu jenen „fünf kleinen Schweinchen“ zählen, die mit France Telecom auf Betreiben der Familienverbände wegen Verstoß gegen die guten Sitten und Verführung zur Unzucht vor Gericht zitiert wurden. Sie plädieren dafür, nur mehr per Code verriegelbare Terminals anzubieten, durch die Eltern ihren Kindern den Zugang zu „Rosa“- Angeboten erschweren könnten. Btx-Verleger sollten in Zukunft in einem offiziell anerkannten Statut den gleichen Regeln der Verantwortung unterworfen werden wie Zeitungsverleger. Crista Barth