Standbild: Die Strauß-Dynastie
■ Zum Ende des ZDF-Sechsteilers
Ein zweites Mal konnte es wohl nicht glücken. Zdenek Mahler, der schon das Drehbuch zu Amadeus gefertigt hat, durfte bei jener Gelegenheit auf Peter Shaffers bereits international erfolgreiches Theaterstück zurückgreifen. Beim Skript für den sechsteiligen Fernsehfilm Die Strauß-Dynastie war er ohne hochkarätige „Vorarbeit“ und auf die so umfangreiche, doch keinesfalls widerspruchsfreie Literatur zur großen Wiener Musikerfamilie verwiesen.
Die Intentionen waren ähnliche. Weder Amadeus noch die Strauß- Dynastie wollten Musikgeschichtsunterricht für die Massen, sondern gute Unterhaltung präsentieren. Dabei stellte die Rahmenhandlung zur Mozart-Darstellung — der alte Salieri, halb im Delirium, sinnt über sein Verhältnis zum Kollegen und Rivalen nach — die nötige Brechung her: Erkennbar sofort, daß das nicht die „Tatsachen“ rekonstruiert und „reingewaschene“ Mozart-Bilder entwickelt werden sollten, sondern Annäherungen an einen außergewöhnlichen Künstler, dessen Nonkonformismus, dessen so spielerrisch erscheinende Produktivität, dessen „Genialität“ mit Bildmetaphern angedeutet wurden, die dem Durchschnittspublikum von heute einsichtig sein könnten.
Über einen vergleichbaren Kunstgriff verfügte die Strauß-Serie nicht. Das zur Verfügung stehende Geschichtswissen wurde nur oberflächlich abgerufen, um aus Fakten, Fama und freier Erfindung eine „aufregende Familien-Saga“ zu stricken. Erstaunlicherweise ließ Malvin Chomsky den ersten Teil mit einer politisch-gesellschaftlichen Erklärung der Lebensumstände in Niederösterreich in den Jahren 1813/15 beginnen: Mit Bildern vom Sieg der Alliierten (zu denen die Deutschen und Österreicher gehörten) über das napoleonische Frankreich. Und mit Bildern der Folgen: In Wien tanzt der Kongreß zunehmend an den Fäden von Fürst Metternich, der bestimmenden politischen Figur der folgenden Epoche. Im Umland marodieren französische Soldaten, plündern ein Wirtshaus, metzeln Leute nieder und zünden das Anwesen an.
Ein Knabe hat in dieser Schreckenssituation nur Augen für die Geige, die ein erschossener Wirtshausmusikant krampfhaft an seine Brust preßt: Dieser Johann entwindet das Instrument dem Toten, während die Flammen ringsherum schon gefährlich nahekommen. Er „rettet“ ein Stück kultureller Identität des Volkes. Der elternlose Jüngling fängt autodidaktisch mit dem Musizieren an, bringt es zu erstaunlicher Fertigkeit, zu einer gewissen Virtuosität. Die freilich stammt hörbar von Paganini und Mendelssohn — und aus späteren Jahrzehnten.
Es hätte so sein können, wie die Schlüsselszene eingangs bedeutet. Doch es war fast alles anders in den Wirklichkeiten, welche die Historiker erschließen. Der ältere Johann Strauß war sieben Jahre alt, als seine Mutter am „Schleichfieber“ starb; zwölf, als sich sein Vater, als Bierwirt hoffnungslos überschuldet, in die Donau stürzte. Das reale Leben war unheroischer. Gewiß gab es damals auch in Wien bereits die Unternehmer der Unterhaltungsbranche, Impresarios und „Manager“. Nur, daß der junge Strauß sen. keinen derartigen Hirsch gehabt hat — er mußte noch alles selber tun, seine Sache eigenhändig betreiben (und sich rasch verschleißen). Das erste Zusammentreffen zwischen Lanner und Strauß stellt Chomsky als die Begegnung zweier selbstbewußter Künstler dar, die sich als Violinartisten aneinander messen. Tatsächlich begann Strauß als Violaspieler in Lanners kleiner Kapelle — mit dem „Ta-ta“ des „Hm-ta-ta“. Von da mußte er sich hocharbeiten.
Er hat sich hochgearbeitet — aber von den Arbeitsprozessen und ihren Härten zeigen alle sechs Filmfolgen nichts. Höchst medienwirksam das Duettieren von Paganini und dem älteren Strauß — in Gegenschnitten dazu die Geburt von Johann jun.; da wenigstens sieht man endlich einmal die Anstrengung. Freilich fand diese Geburt 1925 statt, Paganinis Wien- Visite erst 1928 (und der Teufelsgeiger hatte, weiß Gott, Besseres zu tun, als mit dem Vorstadtschrammler Strauß aufzutreten). Bedrohlich wird derartige Geschichtsklitterung, wenn beispielsweise der Tod der ersten Gattin des jüngeren Johann Strauß als Selbstmord dargestellt wird (laut Totenschein starb Jetty an einem Schlaganfall).
Je länger die Serie sich hinzog, desto ärgerlicher machte sie: gefilmt aus der Perspektive des k.u.k. Obersthofmeisteramtes, das den Schani höchst offiziell für einen „leichtsinnigen, unsittlichen und verschwenderischen Menschen“ hielt. Warum aber einer so und nicht anders lebt, das versuchte Chomsky noch nicht einmal im Ansatz zu ergründen. Die Darstellung der Revolution von 1948/49 geriet so grotesk, daß sich beim Zuschauer nur der Eindruck festsetzen kann: Politischen Umsturz lieben die Produzenten noch weniger als die Künstler. Denn als solche wurden die Mitglieder der Familie Strauß praktisch gar nicht gezeigt. Sie als Künstler der leichten Genres aber ernst zu nehmen: darauf wäre es angekommen. Frieder Reinighaus
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