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Am kältesten, kalt, lächerlich

Hartmut Wickert und der Saisonstart in Konstanz  ■ Von Gerhard Mack

Auf der Suche nach den Rettern des Theatergrals hat Robin Detje in der 'Zeit‘ kürzlich einen ausgemacht und an den Rand der Welt hinter den (Boden)See geschickt: In den Novembernebeln sitzt Hartmut Wickert, das Schwert Excalibur in Händen, und wartet, bis Taten möglich sind. Doch dieser Recke ist vor der Zeit alt, seine Augen sind kalt, die großen Schlachten geschlagen. Endlos liegen die Leiberberge und Blutseen, der Schmerz hat sein Herz durchbrannt; Siege sind errungen, doch der Gral scheint verloren. Hartmut Wickert ein Lancelot, der im Häuslichen keine Liebe gefunden hat und sich rüstet, obwohl er weiß, daß der Kampf seinen Sinn verloren hat — ein naiver Thor auch, der Unschuld braucht und zuviel weiß, um sie zu haben?

Es ist Endzeit (seine Tübinger Drei Schwestern mündeten in Becketts Spiel), Hoffnung als Prinzip hat sich verbraucht. Auch in einem Staat, der ideallos verludert zum Glamour des „let's smalltalk“, während draußen die Messerstecher umgehen und Asylanten rennen. Wissen und Macht, der schöne Schein des lautlosen Mordens, die unerbittliche Mechanik der Macht unter dem Sahnelächeln ihrer Clowns sind denn auch Themen, die er seiner Gegenwart abliest und in Konstanz den Stücken verordnet. Das funktionierte bei Fiesko als Party der „ruling few“, erbrachte eine Welt gesichtsloser Rugbypuppen in den Soldaten und ergab ein phantastisch präzises Bild von der Schaukelbalance der Macht in Yvonne. Es wurde ermöglicht von einem Ensemble, das Wickerts choreografische Präzisionslust bis zur Selbstverleugnung mittrug. Doch was ist mit Stücken, die das Grau aus allen bunten Farben des Lebens mischen und damit verzaubern? Hamlet als Zirkusnummer war eine Petitesse für Akrobatik- und Kehlkopffans. Jetzt war die Möwe angesagt, das zunächst durchgefallene und dann so erfolgreiche Stück Tschechows.

In einer Zeitenwende lebend, sah er zwar das Ende dieser bildungsgesättigten, landsommerschweren und müßiggehenden Kleinadligen, Bürger und Offiziere samt ihren Künstlern voraus, aber er spürte auch ihren Charme, ihre Liebenswürdigkeit, ihre Großmut, ihren Humor. Weil immer beides da ist, weil Tschechow sieht und nicht wertet, weil alle auf der Bühne ganz einfach glücklich leben könnten, wenn sie wollten, wie sie könnten, und weil ihnen alles immer „haarscharf ums Ganze daneben“ geht, ist auch die Möwe so märchenreich und konkret, so bildhaft für alles menschliche Dazwischen. Arm werden da Theorie und Abstraktion.

Kostja will Schriftsteller werden und neue Formen ausprobieren, Trigorin hat von der Schriftstellerei genug und Erfolg, Nina träumt sich als Schauspielerin und Berühmtheit, Semjon will Geld und Soprin in die Stadt. Alle hängen dem nach, was sie nicht kriegen können, und lieben, wo keine Erfüllung sein wird. Das macht ihr Leben leer und sie selbst zu traurigen Clowns.

Hartmut Wickert ist an diesen Seelenverwicklungen und komischen Melancholien kaum interessiert, er will die Wahrheit dahinter und der blutigen Gesellschaft die sanfte Larve vom Gesicht reißen: alles Klischees, alles Bilder, kein wirkliches Leben im falschen. Schon der Bühnenraum Thomas Dreißigackers ist ein schwarzer geschlossener Kasten mit Versatzstücken Magrittes (des Bildercollagisten), wunderschön, aber steril und ohne Chance auf ein Entrinnnen. Deutlich verweisen Dias auf das Verschwinden der Natur in den Bildern, vorne hängt der rote Vorhang der Bildmaschine Theater für das Experimentstück des mystifizierenden Bilderstürmers Kostja. Und wenn die egomanische Irina den Sohn gedemütigt und die Aufführung abgebrochen hat, spielt die Gesellschaft, ziemlich realistisch, also auch mit Verlegenheiten, Langeweile, Klatsch, Eifersüchteleien und Selbstdarstellungen sich selber. Wer nicht dran ist, schaut zu oder weg, das Lottospiel bleibt auch Trumpf, als Kostja sich erschießt.

„In der Poesie ist die Natur viel schöner“, dieser Satz könnte der Inszenierung Motto sein, sie zeigt die Kunstwelt der Bilder. In ihr leben auch die Figuren wie in Klischees, die Konstanzer Schauspieler liefern die Posen: Mascha, die dumpf verbitterte Schnapsdrossel, Polina, das liebeshungrige Muttchen, Nina, das Schulmädchen als Vamp, und Irina, die eitle Selbstverliebte. Die Männer fügen sich da ein, einzig Tonio Arango darf dem Kostja gelegentlich fiebrige Nerven geben. Wickert pickt schwache Stellen aus den Figuren und bläst sie auf zur Totalen, nach den großen Schlachten sind nur noch Zombies zu finden, erstarrte Theaterfiguren. Zynischer kann eine Aussage zur Gegenwart kaum werden.

Daß dieser Regisseur in der, allen Novembernebeln zum Trotz, wärmsten Ecke Deutschlands seit drei Jahren inszenieren kann, auch wenn die Zuschauer stöhnen, ist das Verdienst des Intendanten Ulrich Khuon. Er verpflichtete Wickert zu Beginn seiner Intendanz vom Tübinger Zimmertheater weg als Oberspielleiter, ungeachtet dessen, daß der in der Faschingsstadt am Silvesterabend die Toscana-Therapie so inszeniert hatte, daß man sehen konnte, da will einer an Komik scheitern. Wickert revanchierte sich mit einer federleichten, in der Sache scharfen Uraufführung von Walsers Nero-Monodram, in der sein episches Rüstzeug vom Wiener Charme Helmuth Mosshammers verzaubert wurde. Seither ist dem Intendanten anzurechnen, daß er neben dem Eishauch aus den gesellschaftlichen Abgründen die Sehnsucht nach Wärme behauptet. Khuon, als Regisseur, ist der gute Vater, der keine Figur preisgibt. Zu sehen ist dies in O'Neills Eines langen Tages Reise in die Nacht, mit dem er die Spielzeit eröffnete. Das autobiographisch gefärbte Familiendrama um Suff, Drogen, Liebe und Theater spielt in Konstanz zwar in einem dunklen Raum mit breiter Aufgangstreppe für die verbitterte Mary Tyrone, zugig wie im kommunalen Kino und ohne Heimeligkeit. Die Figuren bleiben allein, das Scheitern aller Annäherungen wird zur (bisweilen arg forcierten) Rollenverfangenheit der Figuren. Sie belügen und verletzten sich, dennoch verachtet man niemanden. Das sind Kleinbürger, keine Monster. Mit dem abgenudelten Stück noch originell zu sein, ist nicht nur Khuon nicht gelungen. Gegen die antikisch unerbittliche Stückmaschine O'Neills haben es bröselnde Liebesversuche schwer.

Mit Volpone, dem dritten Rückgriff des ansonsten so entdeckungsfreudigen Hauses ins Bewährte, hat Ben Jonson dem Theater eine der schwärzesten Komödien vermacht. Alle lügen und betrügen, und am Ende arrangiert man sich. Realpolitik, die in Markwart Müller-Elmaus Inszenierung zu einem grellbunten Potpourri aus Showbiz, Action und platten Gags gerät. Nichts hat da einen doppelten Boden, Schmerz durchdringt uns erst, als Bonario mit Excalibur kommt, um Celias Schoß vor Volpones Händen zu retten: Dann denken wir an den Recken am See, dessen Augen um so kälter werden, je schärfer ihn der alte Schmerz von innen bedrängt. Er ist vor langem aus der Zeit gefallen, und keine Sehnsüchte und keine Wahrheit bringen die seinige zurück.

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