O Muttergottes, die du hangest!

■ „Die Realität ist das Bild“ / Zeichnungen, Aquarelle, Druckgrafik von Georg Baselitz in Bremerhaven

Gegen die Vorliebe der Bremerhavener Kunsthallen-Leitung für Konzeptionelles und Abstraktes, und für die Kunst der leisen Zwischentöne steht die gestern eröffnete Ausstellung mit Arbeiten des

Was Baselitz, der „Philosoph mit dem Hammer“, seit 1969 auf den Kopf stellt, ist 1992 kaum noch als Zerstörung alter Werte zu lesen

deutschen Malerfürsten Georg Baselitz. Zeichnungen, Auarelle und Druckgrafik aus mehr als zwei Jahrzehnten zeigt die Kunsthalle bis zum 3. Februar.

Den langjährigen Vorsitzenden des Hamburger Kunstvereins Günther Gercken, der die aus Herford übernommene Ausstellung zusammengetragen hat, erinnern Baselitz' provokative Verletzungen konventioneller Bildrezeption an Nietzsches „Philosophie mit dem Hammer“. Aber die Zerstörung der Motive bis zum Datum der „Umkehr“ von 1969, seitdem Baselitz die Welt, die er sieht, auf den Kopf stellt, ist 1992 kaum noch als Zerschlagen alter Werte zu lesen.

Baselitz' Arbeiten zeigen ein ästhetisch ansprechendes Spiel mit der Eigenständigkeit von Bildelementen. Gercken zitiert Baselitz: „Die Realität ist das Bild, sie ist ganz sicher nicht auf dem Bild.“

Baselitz spielt in den vorgestellten Holzschnitten, Linoldrucken und Radierungen mit der Vermischung druckgrafischer, zeichnerischer und malerischer Elemente. Die Bildmotive — der Hirt, der Rebell, der Partisan, Adler, Baum, verschiedene Akte — werden zunehmend zurückgedrängt „zugunsten der Eigenständigkeit der grafischen und malerischen Zeichen“ (Gercken).

Auf einem monumentalen Linoldruck „Akt im Lehnstuhl“ (1977) entsteht die Abstaktion nicht vor allem aus der Umkehrung und Übermalung des Motivs, das — mag der Betrachter sich auch auf den Kopf stellen — nicht mehr eindeutig zu identifizieren ist.

Vom Akt bleiben Linien und Striche, schwarze Flächen und figürliche Umrisse, die erst mit Hilfe des Wortes „Akt“ erotisch aufgeladen werden können.

Welchen Weg geht der Rebell Baselitz in den Achtzigern? 1985 entsteht eine Serie von Holzschnitten, die Marienbilder zitieren (“Schwarze Mutter, weißes Kind“; „Weiße Mutter, weißes Kind“). Zwar sind Muttergottes und das Kind auf den Kopf gestellt, aber das Ikonenhafte behauptet sich überlegen gegen das Spiel mit dem Gleichgewicht zwischen schwarzer und weißer Form. Hans Happel