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Kopernikanische Wende in den Geisteswissenschaften

■ betr.: "Jesus Christus, Caesar incognito", taz vom 23.12.91

betr.: „Jesus Christus, Caesar incognito“ (Die Wahrheit),

taz vom 23.12.91

Die Arbeit von Cam zu Jesus Christus ist bahnbrechend, weil sie die Tore zu einer völlig neuen Philologie und Etymologie aufstößt. Es handelt sich um eine kopernikanische Wende in den Geisteswissenschaften. Doch ist das Geheimnis des Neuen Testamentes nur zum Teil gelüftet. Denn eine Person blieb außen vor: Paulus.

Paulus war nicht der Stalin des Christentums, sondern der Napoleon der Antike, er war in Wirklichkeit Alexander der Große. Die Erfindung des Paulus ist der großartige Versuch der fälschungsgeilen Kirche, den Alexandermythos in das Christentum heimzuholen. Bei der Übertragung der Alexanderlegenden ging man allerdings — und das ist das geniale — spiegelverkehrt vor. Alexander zog nach Osten, Paulus nach Westen. Alexanders äußerstes Ziel war Indien, Paulus wollte nach Spanien. Alexander überschreitet den Bosporus nach Osten, Paulus nach Westen.

Wie Alexander, so sammelt der von der Kirche erfundene Paulus Begleiter um sich. Paulus erobert Rom mit einem Brief, Alexander Persien mit einem Heer von 50.000 Mann. Beide wissen sich den Göttern nah. Alexander auf den Spuren des Herakles, Paulus auf den Spuren des Christus. Für beide ist ihr Zug ein Weg zur Vergottung. Beide gründen Bürgerschaften (ekklesiae), die bedeutendste des Alexander war Alexandria, die bedeutendste des Paulus war Korinth, beides Hafenstädte. Alexander schlug die Perser bei Issos, Paulus die Korinther am Isthmus. Beide sterben jung, Alexander mit 33, Paulus mit 66. Ihre Reiche zerfallen schnell. Um das Erbe des Paulus streiten sich die Gnosis, die Paulusbegleiter und der Rest der Kirche. Um das Erbe des Alexander — aber das wissen wir ja us den Geschichtsbüchern.

Wenn man sich klarmacht, welche Vorbildrolle Alexander für Julius Caesar spielte, der im strengen Sinne nur als Epigone dieses göttlichen Griechen gelten kann, dann sollte daraus wiederum geschlossen werden, daß nicht Julius Caesar, sondern Alexander der große Ursprungsmythos des Neuen Testamentes ist. Der christliche Code ist also erst geknackt, wenn wir uns Alexander und Paulus zuwenden. Wahrscheinlich war Christus eine Erfindung des Paulus, der wiederum von der Kirche erfunden wurde. Ob die Kirche wiederum auch eine Erfindung ist, das sollte weiteren Untersuchungen vorbehalten sein. Christian Noack, Tübingen

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