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Leuchtendes Schwarzweiß

Die Stasi und der Prenzlauer Berg: Zum Magazin „Kontraste“, Montag, 21 Uhr, im ersten Programm  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Als wir an irgendeinem, noch von Sylvestertrunkenheiten bestimmten Abend über die Prenzlauerberg- Szene redeten, hatte eine Freundin wütend gefragt, was mich das denn anginge. Man solle sich da raushalten. Es sei nicht die eigene Geschichte. Und so müßten eigentlich DDR-Freunde sprechen, nach deren Szenegeschichte — weder staatlich gehätschelt noch auf Verwertung ausgerichtet — man sich auch im Westen so gesehnt hatte. Die Prenzlauerberg-Szene und ihre vielfältigen Aktivitäten gab es tatsächlich. Doch viele ihrer Protagonisten, die bis zuletzt nicht so sehr Sascha Anderson, sondern in erster Linie dem, was sie wirklich erlebt und gemacht hatten, die Treue hielten, sind enttäuscht und betrinken sich nach der Kontraste- Sendung am Montag abend in den Kneipen Berlins. Menschlich tief enttäuscht und „das zweite Mal um die eigene Vergangenheit betrogen“. Das eine Mal war's der Westen, der in Gestalt des Moderators am Ende der Sendung auch triumphierend Sascha Anderson ein „Schwein“ hinterherwerfen zu müssen meinte, denn Anderson hätte außerdem das Leben der DDR heimtückisch verlängert.

Es sind nicht so sehr die „Enthüllungen“ über Sascha Anderson, die die DDR-Szenekollegen entsetzen. Eine Art psychologischer „Durchbruch“ scheint in dem Moment stattgefunden zu haben, als auch eigene Freunde in den Kontraste-Berichten betroffen waren und es nicht mehr nur darum ging, daß einer der angeblichen Decknamen Andersons uneingeladen zu Jürgen Fuchs auf die Geburtstagsparty ging. Oder daß die Staatssicherheit berichtete, daß Katja Havemann eine Videokamera besitzen würde. „Enthüllungen“ sind deprimierend, weil sie die Eindeutigkeit suchen, die all das ignoriert, was jenseits des Enthüllten wirklich geschah. Enttäuscht war jeder, der auch nur journalistisch mit der Szene zu tun hatte; traurig über die Verpflichtungserklärung des so äußerst sympathischen und labilen Dichters Rainer Schedlinski oder über die erdrückende Beweislast gegen die Decknamen Sascha Andersons, die über den Bildschirm huschten, und deren Richtigkeit der Dichter weiter bestreitet. Traurig dachte man an eine Vergangenheit, die nicht die eigene war und in wunderschönen Schwarzweiß-Szenefotos von aufregenden Dichterlesungen noch einmal aufleuchtete.

Ein Satz des Schriftstellers Lutz Rathenow, von dem man den Eindruck gewinnt, er definiere sich allmählich nur noch aus seinen eigenen Stasi-Akten, rührte irgendwie merkwürdig an: „Der einzige Bericht, der mich doch etwas geschockt hatte“, so sagte Rathenow über den Text des enttarnten Dichters Rainer Schedlinski. „Wie ich da lese, wie er bei der Silvesterfeier bis früh um halb sechs bei uns trank und Monopoly spielte, dann sind das doch Situationen von einer Vertrautheit, die also ... darüber muß man schon nachdenken.“

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