: „Finnen sind konservative Menschen“
■ Der 16jährige Toni Nieminen aus Lahti gewann als jüngster Skispringer aller Zeiten die Vierschanzentournee und versetzte die Zunft der Klassiker in hellste Aufregung
Berlin (taz/dpa) — Die Vierschanzentournee wirkte im Lager der Skispringergilde wie ein Stich ins Wespennest. Schuld daran war vor allem Toni Nieminen. Der 16jährige Finne gewann am Montag mit Sprüngen über 118 und 122 Meter (Schanzenrekord) auch am letzten Tag in Bischofshofen und wurde damit der jüngste Sieger in der 40jährigen Geschichte der Veranstaltung. Von vier Springen gewann er drei, was vor ihm erst acht Kollegen gelungen war. Nur am Neujahrstag in Garmisch- Partenkirchen mußte Nieminen dem Österreicher Andreas Felder den Vortritt lassen. Mit 902,4 Punkten trennten den Mittelschüler aus Lahti am Ende Abgründe von den Österreichern Martin Höllwarth (833,3) und Werner Rathmayer (832,9) — allesamt Jünger des neuen allein seligmachenden V-Stils, bei dem die Athleten anstelle des beruhigenden Anblicks ihrer Skispitzen den direkten Blick in die grausligen Tiefen des unter ihnen liegenden Tales in Kauf nehmen müssen.
Toni Nieminen ist drauf und dran, in die Fußstapfen seines großen und trinkfesten Landsmannes Matti Nykänen zu treten, auch wenn er von diesem Vergleich überhaupt nichts wissen will, „weil wir zwei verschiedene Personen sind. Matti ist Matti, ich bin Toni, eben auch ein ganz anderer Typ als Matti. Dazu kommt, daß ich an dessen sportliche Erfolge überhaupt noch nicht heranreiche.“ Den V-Stil hatte sich Nieminen erst im Sommer antrainiert, nicht nur Österreichs Trainer Toni Innauer ist jedoch überzeugt, daß der Finne mit seinem gewaltigen Absprung, exzellenten Fluggefühl, der hervorragenden Landung und seiner Nervenstärke auch ganz vorn wäre, würde er in der klassischen Technik springen. „Bisher war ich noch in keinem Wettkampf nervös“, verrät Toni Nieminen, „warum soll im Wettkampf nicht klappen, was im Training geht?“
Nach seinen beeindruckenden Auftritten bei der Vierschanzentournee gilt Nieminen als absoluter Favorit für die Olympischen Spiele von Albertville im Februar, was eigentlich überhaupt nicht in seiner Planung lag. „Ursprünglich dachte ich erst für 1994 in Lillehammer daran. Mein Jahresziel waren die Junioren- Weltmeisterschaften in Vuokatti und der Abschluß der Mittelschule. Deshalb habe ich auch meist Schulbücher im Reisegepäck.“
Zum Lesen wird er in nächster Zeit allemal öfter kommen als seine Konkurrenten. Während er sich ruhig und normal auf Olympia vorbereiten kann, ist vor allem im Lager der Klassiker, die vor der Tournee die Sache noch relativ gelassen sahen, gewaltige Hektik ausgebrochen. Wer bislang geglaubt hatte, im alten Stil um die Medaillen mitspringen zu können, sieht sich nun eines besseren belehrt. Japaner, Norweger, Slowenen und sogar Alt-Routinier Jiri Parma aus der CSFR beginnen sofort mit dem V-Training, und auch die Deutschen sehen sich plötzlich gezwungen, dem Trend zu folgen. Der Oberwiesenthaler Jens Weißflog, sonst eher zurückhaltend, übte bereits deutliche Kritik an Bundestrainer Rudi Tusch, dem er vorwarf, die Entwicklung verschlafen zu haben.
Als wesentlich flexibler hatte sich Österreichs Coach Toni Innauer erwiesen, der seinen Leuten frühzeitig eine Umstellung empfahl und sich nun auf eine Mannschafts-Goldmedaille in Albertville freuen darf. Den Triumph des Austria-Teams wird auch Toni Nieminen nicht verhindern können, da seine Landsleute in der Regel noch treue Anhänger der Klassik sind. „Finnen sind meistens konservative Leute, laufen nicht gleich jeder Neuerung hinterher“, analysiert Nieminen scharf. „Doch die Ergebnisse der Tournee, nicht nur meine, haben dazu geführt, daß nach Olympia einige andere den Stil versuchen wollen. Allerdings ist unser Auswahltrainer Kari Ylianttila nach wie vor der Meinung, ein überstürzter kurzfristiger Wechselversuch würde mehr schaden als nützen.“
Und während allenthalben um das goldene V getanzt wird, ist bereits eine neue Variante im Gespräch: zusätzlich zu den gespreizten Ski die nach vorne gespreizten Arme, wie weiland Helmut Recknagel. Die Zukunft gehört dem Doppel-V. Matti (ist Matti)
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