INTERVIEW: „Sonderopfer für Beamte sind nicht zumutbar“
■ Werner Hagedorn, Vorsitzender des Deutschen Beamtenbundes, konstatiert Beförderungsstau im öffentlichen Dienst
taz: Heute morgen haben Sie die Tarifforderung nach 10,5 Prozent mehr für Beamte zurückgezogen und einen Abschluß zwischen fünf und zehn Prozent als möglich bezeichnet. Das heißt: Sie sind nach den Protesten eingeknickt.
Werner Hagedorn: Nein, überhaupt nicht, das war ein arges Mißverständnis. Die Forderung besteht natürlich weiter bei 10,5 Prozent. Ich bin gestern nur gefragt worden, ob wir auf diesen 10,5 Prozent beharren werden: Es gibt natürlich einen Verhandlungsspielraum.
Was aber hat es denn mit den fünf Prozent auf sich, die Sie selbst jetzt ja auch ins Spiel gebracht haben?
Das hat damit zu tun, daß zwei Dinge festgemacht worden sind: Einmal hat sich Frau Simonis, Finanzministerin Schleswig-Holsteins, gesagt, es kann nur eine Drei vor dem Komma stehen. Und Herr Möllemann meint, es muß unter fünf Prozent abgeschlossen werden. Und da habe ich zur Durchsetzung unserer 10,5-Forderung gesagt: Es gibt ja auch andere Zahlen zwischen vier oder fünf und zehn Prozent.
Sie sagen, in der Privatwirtschaft würden 14 Prozent mehr gezahlt. Warum protestieren Sie dann gegen Privatisierungstendenzen, zum Beispiel bei der Bahn?
Wir haben Zahlen des Statistischen Bundesamtes, daß in verschiedenen Positionen der Einkommensrückstand etwas über 14 Prozent beträgt. Und deshalb ist es auch schwer, qualifizierten Nachwuchs zu bekommen. Neben den Mangelbereichen in technischen Berufen und bei der Polizei haben wir zwei große Abwanderungsbereiche: die Steuerverwaltung und die Bundes- und Landeszentralbanken. Außerdem wehren wir uns nicht gegen vernünftige Privatisierungsvorschläge; nur die Vorschläge, die zur Zeit in bezug auf die Bahn auf dem Tisch liegen, sind sehr einseitig.
Sie haben gesagt, das Desaster der Bahn ist nicht durchs Beamtenrecht verursacht worden, sondern der Bund habe als Dienstherr versagt, weil er vorhandene Spielräume nicht genutzt hat. Was heißt das? Hätten irgendwelche lahmen Beamten versetzt werden sollen?
Nein ich wollte auf die Leistung hinweisen. Herr Dürr (Vorstandsvorsitzender der Bundesbahn, d. R.) macht ja immer deutlich, daß er die Bediensteten aus einem Beamtenverhältnis herausführen will, um mehr Spielraum zu haben für bessere Bezahlung. Den Spielraum gibt es ja auch heute, nur müßten die haushaltsrechtlichen Hemmnisse abgebaut werden. Stellenplanobergrenzen haben zu einem Beförderungsstau geführt. Ich habe zum Beispiel kürzlich einen Lokführer getroffen, der drei Stufen unter der Besoldungsgruppe eingestuft ist, in die er eigentlich mit seiner Tätigkeit gehört.
Das klingt ja so, als ob Leistung im öffentlichen Dienst zu schlecht bezahlt würde, nie aber zu gut.
Ja nun, das ist die Einstufung im öffentlichen Dienst. Wir haben im öffentlichen Dienst ein ständiges Beurteilungsverfahren mit Noten; danach richtet sich dann auch die Beförderungsmöglichkeit.
Ja, aber man kann ja nicht absteigen.
Nein, das nicht. Aber man muß dann nicht unbedingt aufsteigen. Aber wenn ich jemanden habe, der mit Erfolg und leistungsgerecht eine Arbeit ausführt, dann kann ich den nicht niedriger bezahlen, als seine Funktion beinhaltet.
Innenminister Seiters hat ausgerechnet, daß Ihre Lohnforderung 36,75 Milliarden kosten würde. Sollte das Geld nicht besser für den Aufbau der neuen Länder verwendet werden?
Der öffentliche Dienst ist ja kein Almosen- oder Subventionsempfänger. Die Beamten haben Anspruch auf eine Anpassung an die allgemeine Einkommensentwicklung. Und die Beamten zahlen ja auch Steuern und Solidaritätsabgabe und helfen mit beim Aufbau in den neuen Ländern. Alles andere wäre ein Sonderopfer, das nicht zumutbar ist. Interview: Annette Jensen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen