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Wohngruppenknast — mehr Kontrolle?

■ Neues Vollzugskonzept bei Gefangenen und JVA-Bediensteten umstritten

1609 war es, als der damalige Rat der Stadt Bremen sich mit dem ersten Zuchthaus im deutsch-sprachigen Raum der Bettler- und Vagabundenplage entledigen wollte. Mit Arbeitsplicht wollten die Ratsherren dem Müßiggängertum beikommen — wer das Arsenal von Strafen nicht überstand, hatte selber Schuld.

383 Jahre später steht jetzt für den Regelvollzug in Bremen ein neues Kapitel an. Jahrhunderte praktizierter Massenvollzug mit seinen Zellen soll nun durch das Wohngruppenprinzip abgelöst werden. Dafür werden seit einem Jahr die Häuser I und II für 3,7 Millionen Mark umgebaut; herauskommen sollen bis 1994 insgesamt vier Wohngruppen mit je dreißig Haftplätzen. Diese Gruppen sollen komplett ausgestattete Teeküchen, Gruppenräume, Duschraum und Waschküche beinhalten, sie sind insgesamt zum übrigen Gefängnis-Innenraum abgeschlossen. Zwischen diese Wohngruppen wird ein „Funktionsblock“ für die verschiedenen Anstaltsdienste eingerichtet. Das aus dem Jugendvollzug übernommene Wohngruppenkonzept soll durch kleinere Gruppen mit festen Ansprechpartnern für die Häftlinge eine „humanere“ Haft ermöglichen. Zu diesem Konzept gehört der Abbau der bisher umfassenden Versorgung der Gefangenen in den Dingen des täglichen Lebens und der enge Kontakt zwischen Häftlingen und Bediensteten, um die „möglichen Behandlungsmaßnahmen zu realisieren.“ Eigenverantwortung und Resozialisierungschancen sollen so erhöht werden.

So schön liest es sich in einem kürzlich erschienen Buch zum System der Straffälligenhilfe in Bremen, herausgegeben vom ehemaligen Justizsenator Volker Kröning. Wirft man hingegen einen Blick in die Weihnachtsausgabe der Gefangenenzeitung „Diskus 70“, ergibt sich ein anderer Eindruck. Warme Grußworte von Bürgermeister, Justizsenator und Anstaltsleiter zum Umbau am Anfang des Heftes, aber dann kommt heftige Kritik von Knast- Bediensteten und Gefangenen. Kern der Kritik der Bediensteten ist die bauliche Umsetzung des Konzepts. „Entsetzt und bestürzt“ erlebten einige Mitarbeiter eine Ortsbegehung, eine „Demarkationsgrenze zwischen Personal und Strafgefangenen, die kein Miteinander ermöglicht“ war entstanden, das Untergeschoß hat „statt Wohncharakter einen Verließcharakter.“

Besonders über den „Funktionsblock“ erregen sich die Bediensteten. Bisher konnten die Inhaftierten in Oslebshausen sich direkt an die Dienste wenden, mit den neuen Wohngruppen verschwindet diese Unmittelbarkeit. Das Personal ist in dem Beamtenturm nur noch über Voranmeldung zu erreichen, dicke Glasscheiben und verschlossene Türen trennen jetzt.

Der katholische Anstaltspfarrer Hans Kessler sieht unter diesen Bedingungen seine Arbeit in der bisherigen Form als nicht mehr durchführbar an, da Gefangene ihn nicht mehr direkt erreichen können, was gerade in kritischen Situationen zu sehr negativen Folgen führen kann. „So läßt die bauliche Umsetzung die Verkehrung der ursprünglichen Ideen befürchten“.

Den „gläsernen Menschen“ befürchtet der Gefangene Gert A., Hauptredakteur des „Diskus 70“. Kontrollfunktionen durch bessere Sichtmöglichkeiten, Viedeokameras für die letzten nicht einsehbaren Winkel werden nach A. zur Zeit verlegt, und durch die persönlich zuständigen Beamten werden erhöht. A. befürchtet auch eine strikte Trennung der Wohngruppen, eine sehr einschneidende Maßnahme, denn bisher konnten in den Häusern I und II 140 Gefangene zusammen verkehren, mit dem neuen Konzept sieht er die strikte Trennung von Gruppen kommen. Für A. bedeutet der Umbau nur ein Schritt auf dem Weg zu noch „restriktiverem Vollzug“.

Seit dem 6. Dezember sind im Haus II zwei Wohngruppen belegt, von denen laut A. bereits jetzt die Hälfte wieder raus möchte. Einen Besuch der taz in den neuen Wohngruppen der JVA Oslebshausen wollte der Justizsenator vorerst nicht gestatten. clö

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