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MEINE GRIPPE DEINE GRIPPE Von Walter Glatt

Es geschieht in der Regel während der dunklen Jahreszeit, am frühen Morgen. Gerade ist man mühsam an seinem alternativen Arbeitsplatz angekommen, da läutet bereits das Telefon.

Etwas unwirsch ob der frühen Störung nimmt man dennoch den Hörer ab. Am anderen Ende entsteht ein Geräusch als würde jemand zwei tote Quallen dauernd gegeneinanderklatschen. Dann ist noch starkes atmosphärisches Rauschen zu hören, nur ab und an von einem tiefen, rasselartigen Klang unterbrochen. Nun knackt und knarrt es immer wilder in der Leitung, bis man endlich die Stimme des unter einer überraschend schweren Grippe erkrankten Kollegen identifiziert.

Er scheint komplett am Ende: „Ikannikom“, sickert es zähflüssig aus dem Hörer. Hat man seine Grippetage selbst noch nicht angetreten, ist dringend davon abzuraten, „warum das denn?“ zu fragen. Der Kollege würde es zu Recht als klaren Affront verstehen und nicht so schnell vergessen.

Will man also demnächst selbst ungestört geNießen oder spürt gar schon ein Kribbeln hie, ein Frösteln da, so sagt man, „oh, du hörst dich aber gar nicht gut an“. Der andere merkt, man ist im Bilde und ist sofort besser zu verstehen. Schließlich hat auch er eine Aufgabe in diesem ewigen Ritual. Nun muß er Nettigkeiten austeilen, darunter z.B. das obligatorische Angebot, „ne du, jetzt ma' ehrlich, wenn du in die Bredouille kommst, röchel, trab' ich natürlich an, egal wie“. Dieses „egal wie“ ist die eigentliche — verschlüsselte — Botschaft. Sie meint, er käme auf gar keinen Fall. Wehe dem, der auf das scheinbare Angebot wirklich eingeht. Er wird keine weitere Chance erhalten. Das „Sesam öffne dich“ in solchen Fällen ist die bravourös gespielte warme Anteilnahme, die dem Leidenden größtmöglichen Spielraum einräumt. „Weißt du was, melde dich doch einfach, wenn es dir wieder besser geht“, ist in diesem Zusammenhang eine gute Lösung. Fast jeder, der nicht wirklich arbeitsunfähig ist, wird von den eigenen Gewissensbissen schon bald gesundgeplagt sein. Außerdem hat man oft gleichzeitig erreicht, daß der Genesene als Zeichen tiefer Dankbarkeit nun seinerseits den Unregelmäßigkeiten im Biohaushalt des anderen erhöhtes Augenmerk widmet.

Aber Vorsicht: nicht zu weit gehen mit der Anteilnahme. Das Angebot, den kränklichen Kollegen etwa zu Hause aufsuchen zu wollen, wird allgemein als Bedrohung aufgefaßt und in der Folge oft schwer bestraft. Hält man sich jedoch an die wenigen eisernen Regeln, kann die eigene winterliche Schwächeperiode diskret eingeleitet werden, wenn sich ein günstiger Termin ergibt.

Doch auch hier gilt: richtig haushalten! Wer etwa im Herbst mit Grippetagen schon gepraßt hat, könnte im Ernstfall rotzfrech sein müssen oder gar Schaden nehmen; ihn vielleicht sogar anrichten. Wer erträgt schon gerne — als eigentlich kerngesunder Mensch — eine kalkweiße Figur mit einem häßlich roten Punkt in der Mitte des Kopfes, den Hals bis zum Kinn in endlose Schals und Tücher gehüllt, aus denen es zehn Stunden am Tag nach einem Menthol- Schweiß-Gemisch muffelt. Und dann dieser ewige Auswurf-Husten, der einen keinen Satz zu Ende sprechen läßt. Besonders tragischer Nebeneffekt: empfindliche junge Menschen, oft selbst noch rekonvaleszent, sind der steten Gefahr eines Rückfalls ausgesetzt. Sag' ich's doch, jetzt geht dieses verdammte Kribbeln schon wieder los.

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