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Operativer Vorgang „Zersetzung“

Sachsens Innenminister Heinz Eggert enthüllt im Fernsehen die Details des Stasi-Versuchs, seine Persönlichkeit zu vernichten/ Bekannte Bürgerrechtler verteidigen das Recht auf Akteneinsicht  ■ Aus Berlin Christian Semler

Was bleibt der Bevölkerung der neuen Länder als unbestrittenes, sicheres Erbe? Der Kadaver der Krake, die Last des Stasi-Systems. Am Mittwoch Abend lief — anläßlich der Öffnung der Stasi-Archive — ein Trommelfeuer von Sondersendungen und Diskussionen über die beiden ersten Fernsehkanäle. Dem westdeutschen Fernseh-Voyeur wurden Bilder der ersten Erschütterung nach der Aktenlektüre geliefert, aber auch Argumente, die der Schwierigkeit des Umgangs mit der Wahrheit gerecht wurden — und ein ganzer Müllhaufen erschreckender, neuer Erkenntnisse. Im Mittelpunkt stand der Leidensweg des jetzigen sächsischen Innenministers Heinz Eggert. Der Theologe, Pfarrer im sächsischen Oybin, Studentenpfarrer in Zittau und engagierter demokratischer Oppositioneller, war seit 1968 rund um die Uhr bspitzelt worden. Anfang der 80er Jahre gab der Chef der Stasi im Dresdener Bezirk, Generalmajor Böhm, den Befehl, „zielstrebig und wirksam mit operativen Maßnahmen die Phase des Zersetzungsprozesses zu beginnen“. Ziel des operativen Vorgangs (OV) war die Zerstörung Eggerts als autonom handelnde Person. Heute hegt Eggert den Verdacht, er und seine Familie seien bei einem Ostsee-Urlaub die Opfer eines Anschlags mit Ruhr-Bakterien geworden, ein Angriff, dem seine Tochter um Haaresbreite erlegen wäre. Infolge der Krankheit begann der Pfarrer an Depressionen zu leiden, wurde zur Behandlung in die Psychiatrie eines Krankenhauses eingeliefert und dort von Ärzten traktiert, die als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) sowohl der Stasi Bericht erstatteten als auch Weisungen von ihr erhielten. Er sei, so Eggert, derart mit Psychopharmaka vollgestopft worden, daß er nahezu bewegungsunfähig gewesen sei. Gleichzeitig lief gegen ihn eine Gerüchtekampagne mit dem Ziel, seine Entlassung zumindest als Studentenpfarrer zu erreichen. Ihm selbst wurde vom Chefarzt Wolf eröffnet, er werde nie wieder gesund werden und bleibe nur zu 30 Prozent arbeitsfähig. Nach seiner Entlassung warf Eggert die Medikamente in die Mülltonne und stand seine Krise durch. Die Namen der 22 Spitzel, die er bis jetzt enttarnt hat, will er bekanntmachen. Der Pfarrer und Innenminister hält nichts von billiger Gnade. Aber er differenziert. Mit denen, die nur unter Zwang und widerwillig handelten, will er reden.

In den Diskussionen trug Jürgen Fuchs, dem wir zwei frühzeitig erschienene, eindringliche Berichte über die Verhörmethoden der Stasi verdanken, zur Aufhellung des Verhältnisses zwischen den Stasi-Führungsoffizieren und den IMs bei. Fuchs ging dabei so weit, Parallelen zum Verhalten von Suchtkranken zu ziehen. Wie alle Teilnehmer beider Diskussionen verteidigte er das Recht auf individuelle Akteneinsicht als einen in der deutschen Geschichte bislang einzig dastehenden Versuch der Rehabilitation und Aufarbeitung. Er, der seit der Wende in Bürgerinitiativen bei der Sichtung des Materials geholfen hat, wehrte sich gegen den Versuch, die Öffnung der Akten als Gelegenheit zur Selbstdarstellung der ehemaligen Oppositionellen zu diffamieren.

Warum wehrt sich ein Teil der Intelligenz in der DDR so hartnäckig gegen die Dingfestmachung der Spitzel, warum ist sie etwa für Stefan Heym nichts anderes als ein Aspekt der „Kolonisierung“? In einem Filmbericht des ZDF wurde der Fall Fink auf einseitige, krass apologetische Art verhandelt. Bärbel Bohley fragte danach erregt, was man von Studenten zu halten habe, die Fink mit der Parole „Heiner nimmt uns keiner“ (Heiner war der Stasi-Deckname Finks) verteidigten.

Eine wichtige Rolle für die Reserve vieler Ex-DDRler gegenüber der Aktenöffnung spielt neben dem Selbstschutz sicher die Tatsache, daß die Auseinandersetzung mit den Spitzeln „privatisiert“ ist, während die Auseinandersetzung mit den eigentlich Verantwortlichen im politischen Bereich und vor Gericht unterbleibt. Jens Reich sprach in diesem Zusammenhang von der „Immanenzfalle“, die der Rechtsstaat mit seinem Verweis auf die DDR-Gesetze als alleiniger Urteilsgrundlage sich selbst gestellt habe. Er könne und wolle sich mit den Resultaten dieses Dilemmas nicht abfinden. Die Konzeption eines Tribunals (wie es Gauck in der Sendung verteidigte) oder von öffentlichen Foren (wie sie der SPD-Abgeordnete Schröder vorschlug) sind Versuche, für die Behandlung des Stasi-Komplexes doch noch demokratische Öffentlichkeit herzustellen.

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