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Kleine Geschichte des Gräberschlachtens

Seit es Menschen gibt, plündern oder zerstören sie Grabstätten. Etwa aus magisch-rituellen Gründen, um dem Verwesungsodem standzuhalten, oder aus Ressourcenmangel. Heutzutage ist Grabräuberei oft der Geschäftemacherei geschuldet — oder aber den schrecklichen Hobbyarchäologen.  ■ VON HEIDE PLATEN

Zwischen Zypressen und Pinien leuchten die weißen römischen Säulen des Museo d' Empuries oberhalb der spanischen Bucht von Rosas an der katalanischen Costa Brava. Zu Füßen der Spaziergänger, die sich kaum von der Küste weg in die karge Thymian-Landschaft verirren, liegen neben hastig aufgerissenen Erdhügeln dicke Tonscherben, glitzern hauchdünne, blaugrüne Glassplitter. Die morschen, braunen Reste von Menschenknochen sind achtlos weggeworfen. Es ist Saison in den Badeorten am Mittelmeer — und die Grabräuber sind auch wieder da. Mit Metalldetektoren suchen sie das Gelände um die ehemals griechische, später römische Siedlung ab. Die Römer errichteten auf den griechischen Mauern weitläufige Villen. Ihre Schiffe liefen den natürlichen, heute verlandeten Hafen an. Sie errichteten Ziegelfabriken und Töpfereien. Ampurais war einer der malerisch gelegenen Altersruhesitze für verdiente Veteranen der römischen Legionen.

Rentner gibt es hier auch heute wieder. Sie kommen vor allem aus Deutschland und der Schweiz. Ihre Bungalows stehen in Sichtweite. Sie besuchen das Museum gerne und sind empört über die Zerstörung der rund 2.000 Jahre alten Gräber. Ein Mitarbeiter, darauf hingewiesen, zuckt resigniert die Schultern. Der Etat ist gering. Er reichte in Erwartung der Olympiade gerade für einen neuen Zaun und einige notwendige Renovierungsarbeiten. Schließlich wird die Olympische Flamme genau unterhalb des Museums an Land gebracht werden. Die Spuren der Zerstörung an den Gräbern ziehen sich rund durch die umliegenden Hügel. Die Beute der Plünderer verschwindet auf dem internationalen Schwarzmarkt für Antiquitäten.

Von der Magie der verstaubten Gegenstände

Der Schatz von Troja, funkelnde Goldhelme, keltischer Schmuck — all das ist der Frankfurter Archäologin Annegret Lüdecke allmählich fast ein Greuel geworden. Sie betrachtet die mitgebrachten Scherben der SeminarteilnehmerInnen ebenso wie den kleinen roten Tonkonus, in Ampurias am Wegesrand aufgelesen, mit sehr mäßigem Interesse. Der Unmut steht ihr ins Gesicht geschrieben. Für romantische Verklärung hat sie aber auch gar nichts übrig. Eine Schüssel ist ihr eine Schüssel, keltisch, römisch oder aus dem Mittelalter. Und da ist sie sich mit vielen jungen und einigen älteren KollegInnen einig. Sie wollen nicht mehr Schatzsucher sein, sondern erforschen, wie die Menschen zu welchen Zeiten gelebt haben, wie ihr Alltag und ihr Sozialgefüge beschaffen war. Das lernt sich nicht aus Gräbern. Von den Toten, den Bestattungsriten also, lasse sich eben nur schwer oder gar nicht „auf die Lebenden schließen“.

Gräber hat sie genug geöffnet, um zu wissen, daß die dabei zu sammelnden Erkenntnisse sich schnell erschöpfen. Sie arbeitet freiberuflich und spielt dabei oft genug die Feuerwehr, indem sie auf Baustellen, oder dort, wo die neuen, tiefgehenden Pflüge auf den Äckern das Unterste nach oben kehren, noch schnell sichert, was sonst zerstört wäre. Oft werde das gar nicht bemerkt. Auch bei Aufräumarbeiten im Wald werde mit schweren Maschinen oft großer Schaden angerichtet. „Noch nie“, sagt sie, „ist so viel zerstört worden wie in unserer Zeit.“ Sie würde viele der „potentiellen“ Fundstätten lieber ungeöffnet lassen, bis bessere wissenschaftliche Methoden eine genauere Auswertung ermöglichen. Oder aber die Toten einfach ruhen lassen.

Sie sagt Sätze, die älteren Semestern ihres Metiers sicher unangenehm sind: „Jedes Grab, das wir öffnen, ist für immer zerstört.“ Auch wenn das wissenschaftlich geschehe: „Eine Dokumentation einer Ausgrabung ist im Grunde nichts anderes als eine Dokumentation der Zerstörung.“

Gerd Rupprecht, archäologischer Landeskonservator in Rheinland- Pfalz, macht aus seinem Herzen keine Mördergrube. Das Buddeln nach Funden ist für ihn keine „richtige Archäologie“: „Es geht dabei nicht um Schatzgräberei, damit zu hundert Krügen noch ein oder zwei dazukommen.“ Er versteht sich als Archivar der Vergangenheit, die „zum Sprechen gebracht werden“ müsse. Und er faßt sein Credo in schöne Sätze: „Die Archäologie entledigt sich der Kleidung des Detektivs und zieht die des Dolmetschers an.“

Dabei sind ihm die „Hobbyarchäologen“ mindestens ebenso ein Graus wie die Raubgräber. „Hobbyärzte“, meint er, „gibt es schließlich auch nicht.“ Auf seinem Schreibtisch im Mainzer Landesmuseum steht eine römische Urne aus blauem Glas. Sammler, die solche Gefäße zur Dekoration, vielleicht sogar als Blumenvase verwenden, sind für ihn nicht nur pietät-, sondern auch geschichts- und, viel schlimmer, „geschmacklos“.

Abfallgruben reden mehr als Fürstengräber

Daß die Gegenstände aus Vorzeiten einfach durch ihr Alter eine eigene Magie gewonnen haben, „einen Alterswert, der ans Gefühl geht“, weiß er. Er hat gelernt, daß das Staunen, das Sich-Wundern, mit zunehmendem Lebensalter des Betrachters noch steigen kann, auch ein klein wenig philosophisch wird: „Zum Beispiel einen Faustkeil in der Hand zu halten, zu sehen, wie wunderbar der da hineinpaßt und zu denken: So ging es los!“ Sich dabei selber „einen Platz zu geben, sich in der Zeit einzuordnen“, das gibt auch Gelassenheit. Daß sich kausal aus der Vergangenheit lernen lasse, glaubt er allerdings nicht mehr. Nicht einmal vermeintliche Wiederholungen, weiß er inzwischen, gleichen sich. Er lese aus den „Zeugnissen, Nachrichten, Botschaften“ lieber ab, wie vielfältig die menschlichen Möglichkeiten, auch des Scheiterns, sein können.

So abgeklärt ist Annegret Lüdecke nicht. Sie verficht mit Leidenschaft ein neues Verständnis der Archäologie. Aus dem, oft ironisch bis abfällig zitierten, „Pfostenloch“, aus einer Abfallgrube der Vergangenheit, lasse sich wesentlich mehr ablesen als aus einem Fürstengrab. Das Thema Raubgräberei sprechen beide, wie zahlreiche Kollegen, nicht so gerne an. Sie sind aber, im Gegensatz zu den meisten Befragten, bereit, darüber zu reden. Das Schweigen zu diesem Problem, hatte ein Museumsdirektor unter der Hand wissen lassen, beruhe nur zum Teil auf der Angst, „Leute erst auf die Idee zu bringen“.

Zum anderen werde die Begehrlichkeit nach Altertümern, und da nach möglichst dekorativen, auch durch die Museen selber verursacht. Ausstellungen wie „Das Gold der Helvetier“ bringen riesigen Besucherzustrom und sorgen für Geld in den leeren Kassen. Also sei die „Raubgräberei und Grabräuberei besser kein öffentliches Thema“. Inoffiziell ist aber zu erfahren, daß zum Beispiel die bayerischen Denkmalschützer das systematische Abgrasen von Gräberfeldern mit Metalldetektoren durch das Abwerfen von Metallspänen und Nägeln aus der Luft zu verhindern oder mindestens zu erschweren suchen.

Ralf Beines, Kunsthistoriker beim Kölner Stadtmuseum und zuständig für historische Friedhöfe, kennt seine Pappenheimer vom schwarzen Markt inzwischen ganz genau. Steinfiguren werden derzeit „im großen Stil abgeräumt“. Was den Dieben an Kunstsinn fehle, sei allerdings auch bei den Käufern, zum Beispiel auf den Flohmärkten, nicht vorhanden. Die Ware muß alt aussehen, dann sagen die, ahmt er in breitem Kölsch nach: „Wat is dat schöön, dat wird jekauft!“ Und Klauen sei natürlich allemal bequemer als Fälschen. Die meisten Banden seien zwar organisiert, nicht aber als Kunsträuber, sondern eher kleine Krauter, die eben gucken, was sich in der Nacht aus einer aufgebrochenen Gruft mitnehmen läßt. Bei größeren Stücken schalte er die Polizei ein. Zu seiner eigenen Verwunderung habe er „das meiste dann wieder zurückbekommen“.

Der Mystik des alten Gegenstandes, die auch biedere Hobbyarchäologen zu Dieben macht, traut Beines inzwischen nicht mehr. Mittlerweile sei das doch alles mehr eine Geldanlage, bei der die Sammler den Spuren des „Gebrauchs durch vergangene Generationen“ nicht mehr nachhängen: „Das ist dann doch mehr eine Schüssel mit einem Dekor aus dem 18.Jahrhundert“, das den Wert bestimmt. Die Suche nach den Schuldigen führt ihn in die jüngere Vergangenheit bis zur Aufklärung zurück. Die Ehrfurcht vor dem Alter, den „heiligen Reliquien der Kirche“, deren Schreine nur an bestimmten Tagen feierlich geöffnet wurden, sei seither unwiederbringlich dahin.

Über Raubgrabungen wissen auch die Paläontologen zu berichten. In der Ölschiefergrube Messel, dem Fundort der Urpferdchen, wurde jahrzehntelang geklaut, was das Zeug hielt. Ganze Krokodile wurden abgeräumt und verschwanden auf Nimmerwiedersehen in Privatsammlungen. Auf dem Schwarzmarkt zahlten die Kunden mehrere tausend Mark pro Stück. Eine römische Keramik ist da billiger zu haben: für rund 300Mark. Glasgefäße und Metall sind wesentlich teurer.

Grabräuberei ist allerdings keine Erfindung der Diebe der Neuzeit. Die hat es, so Annegret Lüdecke, eigentlich zu allen Zeiten gegeben — aus den verschiedensten Gründen. Überlieferungen germanischer Mythologien berichten zum Beispiel von den „kultischen Beraubungen“. Lüdecke: „Der Geruch bei der Hügelöffnung galt als Omen.“ In den süßlichen oder verwesenden Gestank unter der Erde einzutauchen war vielleicht auch eine Mutprobe, eines Häuptlings würdig. Spuren lassen vermuten, daß die Krieger dort unten „einiges zerschlugen und dann mit den Waffen wieder auftauchten“.

In manchen Gräbern seien die Verwüstungen ganz offensichtlich systematisch ausgeführt und die Schwerter zerbrochen worden. So nachlässig ist mit den Grabbeigaben aber nicht immer umgegangen worden. Viele Plünderungen sind einfach „dem Ressourcen-Mangel“ zuzuschreiben. Metall war teuer und selten und konnte, bei aller Pietät, nicht allzu lange im Grab belassen werden. Sehr pietätvoll seien die Verwandten der Verstorbenen oft sowieso nicht gewesen. Schon deshalb, so Lüdecke, führe es oft in die Irre, sich aus dem Grabinhalt ein Bild der jeweiligen Zeit zu machen. Nicht selten hätte die Verwandtschaft den Toten nur „eine Beerdigung zweiter Klasse“ gegönnt und ihnen nur das auf den Weg ins Totenreich mitgegeben, was sie entbehren konnte und was nicht so besonders kostbar war. Der Rest wurde irgendwann wieder ausgebuddelt: „Die konnten es sich nicht leisten, die Ressourcen einer ganzen Generation auf Dauer in der Erde zu lassen.“

In Österreich sind Fälle besonders „heftiger Grabräuberei“ aus der frühen Bronzezeit bekannt. Eroberer rissen den halbverwesten Leichen die Köpfe ab, um an deren Halsreifen zu kommen. Die Mühe dieses sicherlich unangenehmen Geschäftes läßt immerhin darauf schließen, wie wertvoll Metall gewesen sein muß.

Gerd Rupprecht nennt für die modernen Nachfahren einen anderen Aspekt: Grabräuberei werde viel zu oft als Kavaliersdelikt gesehen. Daran sei auch die Presse schuld, die die spektakuläre Schatzsuche anheize. Außerdem sähen viele das als einen „Freizeitsport, der noch dazu an der frischen Luft stattfindet — ungefähr wie das Angeln“. Die Antiquitätenhändler in der Bundesrepublik nimmt er im großen und ganzen in Schutz. Einmal habe seine Sekretärin allerdings einen Katalog bestellt und herausgefunden, daß die Daten der angebotenen Waren nicht ganz so genau festzumachen seien, wie er das gerne hätte.

In anderen Ländern zwingt, weiß er, die Armut die Menschen seit Jahrhunderten, nach verborgenen Schätzen zu suchen. „Etruskergräber schlachten“ sei in Italien „seit Generationen bekannt und üblich“. Er könne verstehen, „daß Familien ohne Geld in Lateinamerika ausgraben, was sie finden können“. Da nützten auch verschärfte Ausfuhrbestimmungen nichts. Ein anderer Archäologe wandte sich, anonym und verbittert, gegen die unverhüllte Reklame, mit der die Hersteller von Metalldetektoren ihre Geräte „als besonders geeignet für den Grabraub anpreisen“.

Von der Geheimhaltung der Fundstellen versprechen sich die jüngeren Archäologen gar nichts mehr. Alles sei ohnehin in der Fachliteratur nachzulesen. Sie setzen vielmehr auf neue Wege, die gezielte Einbeziehung von Laien und die Stärkung des öffentlichen Bewußtseins für die historische Verantwortung. Lüdecke: „Einerseits will der Denkmalschutz zum Beispiel Gräberfelder für die Zukunft unberührt erhalten, andererseits kann er sie nicht schützen.“ Das liege auch an dem gravierenden Personalmangel. Sie kann sich vorstellen, daß die örtliche Bevölkerung, die oft gar nicht informiert sei, mit einbezogen und stolz auf ihre Region werde: mehr statt weniger Öffentlichkeit also. Das können ebenso Wanderungen und Führungen sein wie Hinweisschilder, auf denen „am besten die Strafen gleich mit aufgeschrieben sind“.

Der Fall einer ganzen Betriebsbelegschaft aus Offenbach hat auch sie zuerst sprachlos gemacht. Die hatte sich auf einem Betriebsausflug „volle acht bis zehn Meter durch ein Grab aus der Bronzezeit durchgeschaufelt“. Die eilig alarmierte Archäologin sicherte „Bronze satt“ und staunte gleichermaßen über Dilettantismus und mangelndes Unrechtsbewußtsein. Die Büro-Combo erschien neugierig an der Fundstelle und teilte ihr ganz freundlich mit, da brauche sie nicht mehr zu graben: „Da haben wir nämlich schon!“

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