: Ein Stasi-„Notar“ in Gysis Büro
■ Bürgerrechtler Bohley und Poppe fanden Berichte des IM „Notar“ in ihrer Akte/ Gysi bestreitet, Mandantengespräche weitergegeben zu haben/ Poppe: Weitere Schritte erst nach genauer Prüfung
Berlin (afp) — Der PDS-Vorsitzende Gregor Gysi ist erneut in den Verdacht geraten, als Spitzel für das Ministerium für Staatsicherheit gearbeitet zu haben. Aus den Stasi- Akten der ehemaligen DDR-Bürgerrechtler Bärbel Bohley und Gerd Poppe geht hervor, daß ein Inoffizieller Mitarbeiter (IM) „Notar“ fünf Jahre lang ihre vertraulichen Gespräche mit ihrem damaligem Anwalt Gregor Gysi an die Stasi weitergab.
Dies berichteten übereinstimmend die Berliner Zeitung 'Junge Welt‘ sowie heute das Nachrichtenmagazin 'Der Spiegel‘. Gysi dementierte die Vorwürfe: „Ich war zu keinem Zeitpunkt Informeller Mitarbeiter der Stasi, und ich habe auch keinen meiner Mandanten verraten“.
Gysi hat die Gauck-Behörde aufgefordert aufzudecken, wer hinter dem Tarnnamen „Notar“ steht. Der ehemalige Führungsoffizier des IM „Notar“, Ex-Stasi-Oberst Wolfgang Reuter, wolle in der nächsten Woche gegenüber der Gauck-Behörde bezeugen, daß er kein Informeller Mitarbeiter der Stasi war, sagte der PDS- Vorsitzende: „Leider will er die Erklärung nicht gegenüber mir persönlich abgeben.“
Dem 'Spiegel‘ zufolge hat Reuter bereits eine eidesstattliche Erklärung hinterlegt, die den PDS-Politiker entlastet. Gysi traf am Freitag mit Bohley und Poppe zusammen: „Die beiden haben mir ihren Verdacht aufgrund der Stasi-Akten geschildert. Sie haben aber auch Zweifel daran geäußert.“
Gerd Poppe, Bundestagsabgeordneter des Bündnis 90, bestätigte im Saarländischen Rundfunk, daß sich in den Stasi-Akten Aufzeichnungen seiner Gespräche mit Gregor Gysi aus den Jahren 1982/83 befinden. „Ich möchte aber nicht, daß jetzt eine Vorverurteilung zustandekommt.“ Erst wenn eine Schuld Gysis feststehe, werde er weitere Schritte erwägen.
Die Bürgerrechtler entdeckten die Bespitzlung bereits Anfang vergangener Woche. IM „Notar“ gab dem 'Spiegel‘ zufolge den Inhalt eines Telefongesprächs wieder, das Bärbel Bohley während ihrer Abschiebung aus der DDR 1988 von London aus mit Gysi geführt habe. Auch vertrauliche Gespräche Gysis mit Gerd Poppe Ende 1983 seien der Stasi übermittelt worden.
Daß die Informationen zur Stasi drangen, ist nach Ansicht Gysis nur mit dem Vorhandensein mehrerer Quellen in seiner direkten Umgebung zu erklären: „Daß die Stasi Wanzen gelegt haben kann, ist normal, aber die Vorstellung, daß bestimmte Personen die Informationen weitergegeben haben können, macht mir Schwierigkeiten.“
Ungewöhnlich an dem Aktenfund ist der Tarnname „Notar“. Nirgendwo sonst sei ein IM unter einer Berufsbezeichnung aufgeführt, sondern stets mit einem falschen Vor- oder Familiennamen gedeckt worden, berichtet die 'Junge Welt‘. Es sei daher möglich, daß „Notar“ nicht für eine Person stehe, sondern für eine „nachrichtendienstliche Operation“ oder das „Abschöpfen mehrerer menschlicher Quellen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen