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Rauschen, Fließen, Pulsieren

■ betr.: "Marianne, c'est moi", taz vom 9.1.92

betr.: „Marianne, c'est moi“ (Über Jacque Rivettes Vierstundenfilm „Die schöne Querulantin“), taz vom 9.1.92

Aktzeichnen, Aktmalen — auf der „,Suche nach der Geste‘“. Darüber schwelgt Jacques Rivette vier Filmstunden lang — „,Einfangen des unwiederbringlichen Augenblicks‘“. Thierry Chervel gönnt dem Film eine Kulturseite: „Er wolle sie, Marianne, nur zerlegen, auseinandersprengen, um zu sehen, was dann übrig bleibe. ,Keine Brüste, kein Bauch, keine Schenkel, kein Hintern mehr! Wirbelstürme. Galaxien. Ebbe und Flut‘“, zitiert er brav und: „Frenhofer will ,rausholen', was hinter den Schläfen pocht, das Rauschen, Fließen, Pulsieren, das sich in Malerei so schwer festhalten läßt. Eine etwas vampireske Auffassung, aber wohl konsequent im Sinne der ,Wahrheit in der Malerei‘, die Frenhofer anstrebt.“

Da haben wir es: Grenzerfahrungen, extreme Gefühlslagen, Ekstase, Blut — und die nackte Wahrheit offenbart sich! Wenn Rivettes Kollegen bei dem Wahrheitsbegriff schon mit den Augen rollen, in der Malerei ist er seit etwa 1910 überholt. Rivette aber portiert ihn in die Jetztzeit. Das letzte peinliche Revival dieser gedankenlosen Kunstauffassung in der Malerei ist zehn Jahre her, hieß wild, und heute schon wollen ihre Protagonisten niemals dazu gehört haben. Rivette aber feiert sie heute, die Ideologie der Enthüllung ungebrochener Realität im Rausch, und Chervel findet sie „etwas vampiresk“ und die Gemälde „nicht so genial“. Dabei sind die Bilder von der Art tanzender Zigeunerin in Öl bei Woolworth, nur daß diese ihren Anspruch auf 24,95DM inklusive Rahmen bescheiden.

Ich muß wohl glauben, daß Rivette für die Platitüde genialischer Kunstauffassung den Großen Spezialpreis in Cannes erhalten hat. Durch den direkten, gefühlsmäßigen Zugang weiß ja jedeR sofort über Kunst bescheid! So auch Filmkritiker Chervel und all die Hobby-Kunstkritiker der taz. Eine Bitte: Wenn Ihr es Euch leisten könnt, stellt eine KunsthistorikerIn für das Zeitgenössische ein. Sonst haltet lieber den Mund, wann immer es um Kunst geht. Pe Schäfer, Konstanz

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