INTERVIEW
: „Die Interessen von SPD und Stasi gingen in die gleiche Richtung“

■ Wolfgang Ullmann, Bundestagsabgeordneter vom Bündnis 90/Grüne, widerspricht der These, die Opposition sei noch 1990 von der Stasi gesteuert gewesen

Aus der Untersuchung seiner Stasi-Akten erhofft sich der Mitbegründer von Demokratie Jetzt Aufschluß darüber, ob es bei der Vorverlegung des Termins der letzten DDR-Volkskammerwahl im März 1990 eine Absprache zwischen den unter dem Verdacht einer Mitarbeit für die Stasi stehenden Ibrahim Böhme (SPD) und Ex-Regierungschef Hans Modrow (PDS) gegeben hat.

taz: Herr Ullmann, haben Sie konkrete Anhaltspunkte dafür, daß es zwischen Ibrahim Böhme und Hans Modrow im März 1990 eine Absprache gegeben hat, die Wahlen zur letzten DDR-Volkskammer 1990 vorzuziehen?

Ullmann: Ich habe damals an den Verhandlungen teilgenommen, die zur Entstehung der Regierung der Nationalen Verantwortung geführt haben, d.h. zur Teilnahme der Oppositionsgruppen an der Modrow-Regierung. Wir waren am 28. Januar mit einem Konzept in diese Verhandlungen gegangen, dem auch die SPD in tagelangen Debatten zugestimmt hatte. In der Sitzung mit der Modrow-Regierung, in der auch die damals noch in der Koalition befindliche LDPD und die Bauernpartei vertreten waren, konfrontierte uns gleich zu Anfang Ibrahim Böhme mit der Äußerung, es sei angesichts der fortgeschrittenen Destabilisierung der DDR unbedingt notwendig, den Wahltermin auf den 18. März vorzuverlegen. Dem hat Modrow sofort zugestimmt, dann auch de Maizière von der CDU, so daß alle weiteren Verhandlungen durch dieses fait accompli bestimmt waren.

Welche Absicht hat Ibrahim Böhme Ihrer Ansicht nach mit seinem Vorschlag verfolgt?

Er wollte damit eindeutig die Wahlchancen seiner Partei verbessern — was sich dann aber als totale Fehlkalkulation erwiesen hat. Außerdem hatte die SPD ein Interesse daran, nur möglichst kurz in der Modrow-Regierung zu sein, weil sie meinte, es schädige ihr Image. Die SPD, die ja damals noch zum Oppositionsblock innerhalb der DDR gehörte, hatte zu jener Zeit eine knallhare Position: Sie pokerte so hoch wie möglich und wollte uns anderen die Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung diktieren. Wir in der Opposition hatten Bedenken, in diesem wenig positive Perspektiven eröffnenden Moment an einer Regierung teilzunehmen. Ich habe damals die Meinung vertreten, das Land müsse stabilisiert werden; und ohne die Vertreter des Runden Tisches ginge in der Regierung nichts mehr. Die SPD hat das im Grunde nicht bestritten. Sie hat aber eine Politik gemacht mit dem Ziel, sich möglichst wenig die Hände dabei schmutzig zu machen und damit ihre Wahlchancen zu verbessern. Da die Sozialdemokraten meinten, durch die Beteiligung an der Regierung Modrow würden die Wahlchancen eher sinken, wollten sie ihre Beteiligung so kurz wie möglich halten.

Und worin bestand der Vorteil für Lothar de Maizière und Modrow?

Ich denke, auch sie haben an ihre Wahlchancen gedacht. Und was ich nun im Hinblick auf die jetzigen Stasi-Enthüllungen deutlicher als damals sehe, ist, daß die schwerstbelasteten Personen aus der SED-Zeit sich schlechtere Rückzugschancen ausrechneten für den Fall, daß ein längerer Zeitraum bis zu den Wahlen, also bis zum 6. Mai 1990, der Opposition erlauben würde, sich ihrerseits zu stabilisieren und bessere Wahlchancen zu bekommen.

Glauben Sie, daß Böhme eher aus Parteiräson gehandelt hat oder daß er die vermutete Absprache mit Modrow in seiner Eigenschaft als Stasi-Agent getroffen hat?

Das war sicherlich Parteiräson. Meine Interpretation läuft darauf hinaus, daß hier die Parteiräson — die sich ja als Fehlspekulation erwiesen hat — aber in dieselbe Richtung ging wie die Interessen der Stasi-Leute, die ihre Rückzugspositionen aufbauen wollten. Die Stasi hatte gerade eine Niederlage einstecken müssen, weil der Plan, das MfS in ein Amt für Nationale Sicherheit umzuwandeln, endgültig gescheitert war.

Sie haben der These widersprochen, daß die SPD und die Bürgerbewegung von der Stasi gesteuert gewesen wären. Nun haben aber Stasi-Spitzel wie Böhme oder de Maizière das Geschehen doch zumindest beeinflußt...

Darüber kann ich zur Zeit nur spekulieren. Ich will nur auf eines hinweisen: Es hat durchaus eine Opposition gegeben, die tatsächlich möglichen Stasi-Plänen, solange es irgendwie ging, härtesten Widerstand entgegengesetzt hat. Das möchte ich doch der These, daß die Opposition stasi-gesteuert war, mit Nachdruck entgegenhalten.

Nehmen wir das Beispiel der Initiative Frieden und Menschenrechte, wo von einem Kern von 20 Leuten die Hälfte Inoffizielle Mitarbeiter waren. Das spricht doch eher für die These, daß die Stasi versucht hat, solche Gruppen zu steuern...

Ja, versucht. Aber das ist ihr ja nicht einmal bei der kleinen Initiative gelungen. Das kann Ihnen auch Gerd Poppe bestätigen.

Warum also ist der Stasi eine wirksame Steuerung der Gruppen nicht geglückt?

Sie war einfach zu phantasielos. Sie hat überhaupt nicht verstanden, was der Kern der Opposition wollte.

Offenbar konnte die Stasi mit der Fülle der Informationen wenig anfangen...

Ja, die sind an der Fülle der Informationen gescheitert. Die hatten keine Möglichkeit mehr, das Relevante vom Irrelevanten zu unterscheiden. Das geht auch aus den Dossiers hervor: Die sind in einem unglaublichen Deutsch verfaßt. Ich habe ja in dieser Zeit mit Leuten aus dem SED-Umfeld zusammengearbeitet; diese Leute haben schlichtweg mein Deutsch nicht verstanden. Interview: Dorothee Winden