INTERVIEW: „Die Anerkennung hat nichts bewegt“
■ Jens Reuter, Balkanexperte an der Uni München, zu den Implikationen der Anerkennung
taz: Herr Reuter, die Entscheidung ist gefallen, die EG wird Slowenien und Kroatien anerkennen...
Jens Reuter: Diese Entscheidung ist keineswegs ein schlüssiges Konzept. Nach der Initiative der Bundesrepublik vor Weihnachten meinen nun auch die anderen Länder, man könnte das jugoslawische Mosaik auseinanderbrechen und die einzelnen Republiken einfach anerkennen. Wenn das aber so einfach gewesen wäre, hätte man da auch vorher auf die Idee kommen können. Meiner Meinung nach sind die Probleme der gesamten Region so nicht gelöst, sondern lediglich verlagert. Man muß eine Anerkennung nach reiflicher Überlegung aussprechen. Ich halte die deutsche Politik nicht für richtig, eine Anerkennung Kroatiens als Waffe gegen Serbien durchzusetzen. Das ist meiner Ansicht nach nur aus der deutschen Geschichte zu erklären. Zum einen daraus, daß man Bonn immer unter Druck gesetzt hat, die damalige DDR anzuerkennen. Und vielleicht auch daraus, daß der Zweite Weltkrieg nie verarbeitet worden ist. Wegen der Anerkennung ist kein Schuß weniger gefallen.
Wie kommen Sie denn darauf?
Die nachgiebige Haltung des serbischen Präsidenten Milosevic, der erklärt hat, der Kriegsgrund sei entfallen, ist auf ökonomische Erwägungen zurückzuführen. Die Ressourcen sind völlig erschöpft, es ist kein Benzin, kein Geld mehr da. Hinzu kommt, daß die Soldaten davonlaufen. In Belgrad sind nur 10 Prozent der Wehrpflichtigen den Einberufungsbefehlen gefolgt.
Das ist doch ein Argument für die Anerkennung.
Nein, der Friedensprozeß ist im wesentlichen durch die Vereinten Nationen in die Wege geleitet worden, nachdem sich die EG als unfähig erwiesen hat.
In der EG gab es widersprüchliche Interessen. Nach dem Angriff der Bundesarmee und der serbischen Extremisten ist doch ein Hilferuf von Kroatien aus an Europa ergangen. Dort hat man keine konsistente Strategie entwickeln können, um Druck für einen Waffenstillstand zu machen. Die UNO ist da erfolgreicher gewesen, auch im Sinne der USA, die serbische Position im Verhandlungsprozeß zu unterstützen. Diesen Hilferuf konnte man doch nicht unberücksichtigt lassen...
Man darf bei dem ganzen Komplex aber nicht übersehen, daß die erste Institution, an die der Hilferuf erging, die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) war, die wiederum 15 Mitglieder beauftragte, in Jugoslawien tätig zu werden. Auf diese Weise ist die EG überhaupt in diesen ganzen Prozeß hineingeraten, denn Jugoslawien war ja nicht einmal assoziiertes Mitglied der Gemeinschaft. Die EG hat es aber nicht geschafft, eine befriedigende Rolle in dem Konflikt zu spielen. Was die USA betrifft: Sezessionismus ist dort keine positive Kategorie. Das heißt aber noch nicht, daß die USA Serbien direkt unterstützt hätten.
Aber die EG-Diskussion hat doch immerhin einen Kriterienkatalog für die Behandlung von Minderheiten und für die demokratischen Rechte zustande gebracht. Der Druck hat durchaus einen demokratischen Impuls für Kroatien bewirkt.
Insgesamt gesehen kann ich dies nicht so werten. Ich glaube, daß man alle Staaten, die anerkannt werden wollen, lediglich dazu zwingt, in aller Eile Rechte über die Minderheiten in die Verfassung aufzunehmen, die von den Mehrheiten gar nicht so gemeint sind. Wir zwingen sie, uns etwas vorzumachen, was in Wirklichkeit auf dem Papier bleibt. Mazedonien steht auch vor der Anerkennung, die Albaner dort sind diskriminiert. Da werden sicher auch Minderheitenrechte verabschiedet. Es ist aber zu bezweifeln, ob die Regierungen sich daran halten.
Das könnte man auch umgekehrt sehen. Es fehlen dazu die Institutionen, die muß man eben aufbauen. Außerdem könnte sich ja gerade an diesem Widerspruch eine Opposition aufbauen, die ihn ähnlich den Helsinki-Gruppen innenpolitisch aufgreift. Das kann doch der Auslöser für einen positiven Prozeß sein. Die Alternative wäre ja, nichts zu tun...
Ich kann nur davor warnen, naiv daran zu glauben, wir stünden schon am Ende eines Prozesses bei der Akzeptierung dieser Bedingungen. Gesetze werden eingeführt, Völkerrechtler bestätigten ihre Unbedenklichkeit, und alles bleibt Papier.
Zurück zu Serbien. Tatsache ist, daß Serbien mit der Anerkennung isoliert worden ist. Welche Möglichkeiten sehen Sie, diese Isolation zu vermeiden?
Für die Zukunft Serbiens ist die Innenpolitik entscheidend. Das Regime Milosevic hat den Krieg begonnen und ist wohl nicht mehr der geeignete Partner für eine Verbesserung der Beziehungen. Nach den letzten Umfragen hat Milosevic nur noch 30 Prozent der Wähler hinter sich. Ich kann mir nicht vorstellen, daß dieses Regime die Beziehungen zu den Nachbarstaaten und zu Europa regulieren kann. Auch in Serbien müssen demokratische Rechte und der Schutz der Minderheiten verankert werden. Problematisch für alle Regierungen bleibt das Verhältnis zum Kosovo, hier zeigt sich die Mehrheit der Serben unbeweglich, andererseits wollen die Albaner nicht mehr in Serbien leben. Interview: Erich Rathfelder
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