Kroatien und Slowenien anerkannt
: Geburtshelferfür einen neuen Balkan

■ Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft haben sich am Mittwoch der Position der Bundesrepublik angeschlossen und Kroatien und Slowenien als eigenständige Staaten...

Geburtshelfer für einen neuen Balkan Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft haben sich am Mittwoch der Position der Bundesrepublik angeschlossen und Kroatien und Slowenien als eigenständige Staaten anerkannt.

Die Empfehlung der fünf europäischen Verfassungsgerichtspräsidenten, die gestern ihr Jugoslawien- Gutachten in Lissabon vorlegten, war eindeutig: Slowenien und Mazedonien erfüllen „sämtliche Bedingungen“ der EG für eine Anerkennung, Kroatien muß seine Verfassung noch „ergänzen“, um diesen Bedingungen zu genügen; in der vierten anerkennungswilligen Republik, in Bosnien-Herzegowina, könne der Wille der Bevölkerung nach einem souveränen und unabhängigen Staat „nicht als voll erwiesen gelten“.

Aber die europäischen Politiker, die im Dezember nach einer kontroversen Nachtsitzung verabredet hatten, das Votum der EG-Schiedskommission zur Grundlage ihrer Jugoslawien-Politik zu machen, folgten den Juristen trotzdem nur teilweise: Getreu dem deutschen Vorbild werden nun auch die übrigen elf EG-Länder Slowenien und Kroatien völkerrechtlich anerkennen. Mehrere umliegende europäische Länder kündigten sofort nach Bekanntwerden der Nachricht an, daß sie der EG folgen werden — darunter Österreich, die Tschechoslowakei und Ungarn. Damit ist der seit 1918 existierende größte Balkanstaat von der internationalen Bühne verdrängt. Jetzt treten zwei neue balkanische Akteure auf: Slowenien und Kroatien. Was Mazedonien und Bosnien-Herzegowina betreffe, müsse die EG noch „wichtige Fragen“ klären, ließ die portugiesische Ratspräsidentschaft gestern wissen.

Die meisten EG-Länder leiteten noch gestern die diplomatischen Schritte zur Anerkennung ein. Großbritannien und Frankreich, die bis zuletzt heftige Einwände gegen eine Anerkennung Kroatiens hatten, wollen ihre Botschafter erst dann nach Zagreb schicken, wenn ausreichende Garantiezusagen zum Schutz der Minderheiten abgegeben werden, erklärten die Außenministerien in London und Paris.

Den Ausschlag für die umstrittene EG-Entscheidung hatte wohl ein schriftliches Versprechen des kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman gegeben, mit dem er am Montag konkrete Garantien für die Einhaltung der Menschenrechte und der Rechte der Minderheiten in Kroatien zusicherte.

In Freudenstürme brachen Kroaten und Slowenen gestern jedoch trotz der monatelang ersehnten Anerkennung nicht aus — weder als protokollarisch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik besiegelt wurde, noch als die Nachricht von der Anerkennung der übrigen EG-Länder aus Lissabon kam. Der kroatische Staatsfunk begnügte sich damit, den neuen Pop- Song „Danke Deutschland“ abzuspielen. Und in der Zagreber Innenstadt eröffnete das „Café Genscher“.

Genscher betont „Richtigkeit des deutschen Denkens“

Genscher selbst, der mit dem Umschwenken der gesamten Europäischen Gemeinschaft auf die deutsche Linie einen der größten Erfolge seiner Karriere erlebte, sagte gestern bescheiden: „Ich bin sehr froh, daß wir unsere Partner von der Richtigkeit dieses Denkens überzeugen konnten.“

Kritik an der Bundesrepublik und ihrem Vorgehen in der Anerkennungsfrage kam indes aus einigen EG-Mitgliedsländern. So warnte der niederländische Staatssekretär Piet Dankert vor „deutschen Sonderwegen“. In einer Rede sprach er gestern von einem „sehr unglücklichen Beginn der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, für die auf dem Gipfel in Maastricht der Weg geebnet wurde“.

Empört über die Expertise der Schiedskommission zeigte sich gestern die griechische Regierung. Seit Tagen hatte Premierminister Mitsotakis auf Reisen zwischen Belgrad und den Hauptstädten verschiedener EG-Länder versucht, eine Anerkennung Mazedoniens zu verhindern. Als die Kommission unter Vorsitz des französischen Verfassungsratspräsidenten Robert Badinter dann doch zur Anerkennung Mazedoniens riet, erklärte der Grieche sofort, er hoffe, die EG würde dem Votum nicht folgen. Die Kommission hatte notiert, daß die Verwendung des Namens „Mazedonien“ an sich „keinerlei territoriale Ansprüche gegenüber einem anderen Staat beinhalten“ könne. Diese Republik habe „auf Gebietsforderungen jeder Art verzichtet und sich verpflichtet, jede feindselige Propaganda gegenüber einem anderen Staat zu unterlassen“.

Der frühere Vertreter Mazedoniens im jugoslawischen Staatspräsidium, Vasil Tupurkovski, hatte bereits am Dienstag gegenüber Journalisten triumphierend erklärt, daß die Schiedskommission sein Land zur Anerkennung empfehlen werde. Allerdings bezog er sich dabei auf ein Telefonat mit seinem „Freund“, dem italienischen Außenminister de Michelis. Der ihm angeblich zugesagt hätte, Italien werde dieser Empfehlung folgen. Ein Versprechen, von dem gestern in Rom allerdings nichts mehr zu hören war.

Griechische Regierung wittert Gefahren

Völlig unklar blieb gestern, wie die EG-Schiedskommission in ihrem geheimgehaltenen Bericht die Situation der albanischen Minderheit in Mazedonien beurteilt. Deren beide große Parteien hatten am Wochenende ein Referendum abgehalten, in dem sich die Wähler zu 99,9 Prozent für eine „politische und territoriale Autonomie“ aussprachen.

Bei der von der mazedonischen Regierung als „illegal und verfassungswidrig“ bezeichneten Volksbefragung wurden 276.921 Stimmzettel abgegeben, was ungefähr 92 Prozent der stimmberechtigten Albaner in Mazedonien entspräche. Bislang ist offen, ob das eigentliche Ziel dieses Referendums ein Protest gegen die Minderheitenpolitik der mazedonischen Regierung ist oder letztlich eine weitere territoriale Neuordnung auf dem Balkan.

Denkbar wäre in diesem Zusammenhang beispielsweise der Anschluß des westlichen Teils Mazedoniens und des Kosovo an ein „Groß- Albanien“. Die Athener Regierung jedenfalls wittert, daß ihr im Nordwesten ihres Landes Gefahren drohen. Dort lebt nicht nur eine große mazedonische Bevölkerungsgruppe, die möglicherweise auch Interesse an einem unabhängigen mazedonischen Staat entwickeln könnte, sondern auch noch ein kleine albanische Minderheit. dora