: Justiz übte Selbstkritik
■ Prozeß um Klinikbesetzung am Viktoria-Park überraschend eingestellt
Berlin. Ein überraschendes Ende nahm gestern das beim Amtsgericht Tiergarten anhängige Verfahren wegen der »demonstrativen« Besetzung der seit über vier Jahren leerstehenden Belegklinik am Kreuzberger Viktoriapark: Die Besetzer verlangten Ende 1989 die Überlassung der Klinik an Aids-Infizierte. Der Verteidiger des mitangeklagten Kabarettisten Holger Klotzbach (Die drei Tornados), Rechtsanwalt Eisenberg, hatte in der Akte eines Parallelverfahrens ein Schreiben der Eigentümer der Klinik gefunden, in dem diese die Strafanträge gegen die Besetzer zurückgenommen haben. Das Gericht stellte daraufhin gestern das Verfahren gegen alle Angeklagten ein, die Landeskasse trägt die Kosten des Verfahrens. Der Richter führte aus, daß es auch »Schuld« der Ermittlungsbehörde gewesen sei, daß das Verfahren so lange geführt worden sei, deshalb sei es unbillig, den Klinikeigentümern die Kosten aufzuerlegen, nachdem sie den Strafantrag zurückgenommen haben. Wermutstropfen bleiben für die »Besetzer«, die vor dem gestrigen Termin aufgegeben haben und rechtskräftig bestraft wurden: Ihre Urteile haben Bestand. Sie werden Gnadenanträge bei der Justizverwaltung stellen, wie gestern zu erfahren war.
Am Rande des Verfahrens wurde deutlich, daß die Klinik nicht ohne Grund bis heute leersteht: Nach der Besetzung bemühte sich der Verein HIV e.V. darum, die hervorragend erhaltene Klinik zur Unterbringung einer stationären Betreuung für sterbende Aidskranke zu mieten. Verhandlungen mit dem Anwalt der Eigentümer hatten dazu geführt, daß die grundsätzliche Bereitschaft erklärt wurde, die Klinik zu überlassen. Weitere Voraussetzungen sollte allerdings sein, daß die Senatsverwaltung für Gesundheit das Konzept der HIV e.V. unterstützt. Vor Abschluß entsprechender Vereinbarungen, etwa im ersten Halbjahr 1991, aber teilten Mitarbeiter der Senatsverwaltung Vertretern von HIV e.V. mit, daß die Bundesvermögensverwaltung die Klinik erworben haben soll. Die Verhandlungen wurden abgebrochen, die Klinik aber steht bis heute leer. taz
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