: Himmlische Spürhunde in der Wüste
In den 90 Tagen des Golfkrieges sind mehr Kommunikationsverbindungen aufgebaut worden als in Europa während der letzten 40 Jahre/ Künstliche Sterne haben die alliierten Truppen gelenkt/ Handliche Trägerraketen auch für den zivilen Gebrauch ■ Von Jürgen Bischoff
„Der Golfkrieg war der erste Krieg des Raumfahrtzeitalters.“ Dieses Resümee zog der Stabschef der US- Luftwaffe, Merrill McPeak.
Nur wenige Tage nach Abschluß der Kampfhandlungen, die für die Alliierten eher einem Manöver unter hyperrealistischen Gefechtsfeld-Bedingungen glichen, begaben sich militärische Experten an die Analyse der Aktionen und an eine Beurteilung der Tauglichkeit der eingesetzten technischen Systeme.
Das US-Militär fühlte sich durch „Desert Storm“ in seiner technischen Strategie bestätigt. Insbesondere der Einsatz von Weltraumtechnologien hat eine entscheidendes Maß dazu beigetragen, diesen Krieg in so kurzer Zeit so zu führen, wie er schließlich verlaufen ist.
Lauschen und kommunizieren
Satelliten waren ein unabdingbares Instrument für die „erfolgreiche“ Kriegsführung der Alliierten. Spionagesatelliten überflogen in kurzen Abständen die Region und ergänzten die Fotos der flugzeuggestützten Luftaufklärung; Lauschsatelliten verfolgten regelmäßig den Funkverkehr der Iraker; ein Netz von Kommunikations- und Relaissatelliten verbanden die örtlichen Planungsstäbe in Riad mit den Strategen im Pentagon. Sie halfen mit, die israelische und saudische Luftabwehr rechtzeitig über die Flugbahn anfliegender Scud-Raketen zu informieren.
Während der gerade einmal siebenminütigen Flugphase einer Scud- Rakete zwischen ihren irakischen Basen und Tel Aviv übertrug ein ganzes Netz von Relaissatelliten im All die Infrarot-Bilder der Aufklärungssatelliten auf die andere Seite der Erde, in das Frühwarnzentrum des US-Militärs in den Rocky Mountains und zu einer Bodenstation in Zentralaustralien. Dort wurde die Flugbahn und der mögliche Aufschlagort berechnet und mittels mehrerer militärischer Kommunikations-Satelliten wieder halb um die Erde an die örtlichen Behörden weitergegeben. Die konnten nicht nur die Bevölkerung alarmieren, sondern auch aufgrund der präzisen Daten die Patriot-Abfang-Raketen auf die anfliegenden Scuds richten. Fünf Minuten waren vergangen zwischen dem Start der Scud, der Verarbeitung der Fluginformation in ganz anderen Erdteilen und dem Alarm in Israel und Saudi- Arabien. Es blieben noch zwei Minuten Zeit, die feindlichen Raketen abzuschießen. In den meisten Fällen ist das den angegriffenen Staaten auch gelungen.
„Taktische Satelliten“, immer kleinere, leichtere, billigere, aber doch spezialisierte künstliche Trabanten sind nach Ansicht der US- amerikanischen Fachzeitschrift 'Aviation Week‘ das Schlüsselelement für weitere militärische Raumfahrtentwicklungen. Das ist eine der Lehren, die die Militärs aus dem Golfkrieg gezogen haben.
Längst noch nicht ausreichend waren die Kommunikationskapazitäten auf Satelliten für all diejenigen Truppen, die ihrer bedurften. Generalleutnant James S. Cassity, während des Golfkriegs verantwortlich für die Kommunikation und Kontrolle im Generalstab der Alliierten, machte den enormen logistischen Aufwand deutlich, den die Militärs für den Wüstenkrieg betrieben: „In den 90 Tagen des Aufmarschs haben wir mehr Kommunikationsverbindungen aufgebaut als in ganz Europa während der vergangenen 40 Jahre.“
In der weglosen Wüste koordinierten direkt benachbarte Truppenteile ihre Aktionen telefonisch via Satellit. Für die Zukunft fordern die Militärs weitere kleine Kommunikationssatelliten, die sich im Prinzip über die gesamte Erde verteilen lassen und die dann die Möglichkeit bieten, mit einem Feldtelefon per Kunstmond Verbindung zum anderen Ende des Schützengrabens aufzunehmen, statt Strippen zu ziehen.
Zu den absoluten Knüllern dieses großangelegten Überlegenheitstests westlicher Militärtechnologie unter Gefechtsbedingungen gehörte „Navastar-GPS“. Dahinter verbirgt sich ein völlig anderes Satellitensystem, das sich kurz vor dem Golfkrieg zivilen Anwendern öffnete.
Künstliche Sterne ersetzen den Kompaß
GPS steht für „Global Positioning System“ — globales Positionsbestimmungs-System. Das ist ein künstliches Sternennetz, mit deren Hilfe es an jedem Punkt der Erde möglich ist, seinen exakten Standort zu bestimmen.
Kurz vor dem Golfkrieg waren die ersten handlichen Trägerraketen für den zivilen Gebrauch in den Handel gekommen. Sie lagen in der Größe etwa zwischen Walkie-talkie und Taschenrechner. Sie sollten vor allem Freizeitkapitänen dienen, um den Kompaß und Sextanten abzulösen. Aber auch Bergsteiger könnten davon profitieren, um in Gefahrensituationen auf sich aufmerksam zu machen.
Finanziert hatte das weltumspannende Kunst-Sternennetz aus 21 Satelliten, die in etwa 20.200 Kilometer Höhe kreisen, das US-Verteidigungsministerium mit 8,5 Milliarden Dollar. Zivilisten können mit handelsüblichen Geräten ihre Position auf mehr als 100 Meter exakt Längen- und Breitengrade bestimmen. Militärische Geräte sind wesentlich präziser.
Als allerdings mit Beginn des Golfkrieges noch eine ganze Reihe alliierter Truppeneinheiten mit dem Pfadfindersystem ausgerüstet werden mußte, ging es auch anders: Die US-Armee bestellte Tausende zivile Versionen der GPS-Peilgeräte und schaltete einfach im Satellitennetz die eingebauten Störsignale für Zivilisten aus. Plötzlich war jedes GPS- Geräte in der Lage, auf 15 Meter genau den Standort zu bestimmen — ob in der Antarktis, im Sauerland oder im arabischen Wüstensand. Dort diente GPS den isolierten Truppenteilen zur Orientierung beim weiteren Vormarsch. Gleichzeitig half es ihnen, in der Folge von Minenräumkommandos exakte Wege durch den Minenkorridor in der ewig gleichförmigen Umgebung ohne Orientierungspunkte zu finden.
Nicht auszudenken jedoch, wie der Golfkrieg weitab jeglicher Nachschubbasen und planerischer Stäbe, bei Unkenntnis des Terrains, der klimatischen Bedingungen und mit weitgehend nicht verhandenen landgestützten Kommunikationsverbindungen für die Alliierten hätte ausgehen können, wenn ihnen keine Satelliten zur Verfügung gestanden hätten. Die irakische Armee, viertgrößte der Welt, hätte sicher ihren „Heimvorteil“ bestens ausnützen können.
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