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Hervé Guibert

Seine Aids-Erkrankung hat der Schriftsteller Hervé Guibert nicht verschwiegen — anders als Michel Foucault, den er persönlich kannte und über dessen Sterben er in seinem autobiographischen Roman Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat berichtet. Während die Ärzte bei Foucaults Tod 1986 eine Todesursache erfanden („Erkrankung des Nervensystems“), um Familie und Öffentlichkeit zu schonen, ist Hervé Guibert kürzlich den offenen Aids-Tod gestorben — mit 36 Jahren. Bis zuletzt war Guibert ein ausgesprochener Vielschreiber — etwa fünfzehn Titel sind in den letzten zehn Jahren erschienen. Und er kannte nicht nur die Crème der philosophischen Welt, sondern auch der Pariser Theaterszene: Isabelle Adjani und Patrice Chérau. Neben Romanen (Les aveugles, les chiens, Mes parents, Mon valet et moi u.a.) hat Guibert auch Kurzgeschichten (Les aventures singulières) und Essays geschrieben (L'image fantôme, La mort propagande). Zeitweise hat er als Fotografiekritiker für 'Le Monde‘ gearbeitet, aber auch selbst fotografiert. Orte, die in seinen Büchern vorkommen, sind in dem Fotobuch Le seul visage zu sehen.

In Deutschland bekannt wurde bisher nur Hervé Guiberts oben genannter autobiographischer Roman, der letztes Jahr bei Rowohlt erschien; in diesem Frühjahr soll die Übersetzung des nächsten Buches Le protocole compassionnel folgen. Wenn Guibert minutiös den körperlichen Verfall durch Aids und das seelische Entsetzen referiert, handelt es sich trotzdem nicht um „Betroffenenliteratur“: Noch die Bestandsaufnahme seines Aufbegehrens klingt kontrolliert. Als literarisches Vorbild nannte er Thomas Bernhard.

Jedoch weniger Guiberts gezähmte Schreibweise oder seine bisweilen bemühte Obszönität machen seinen Skandalwert aus, sondern daß er der Öffentlichkeit das Bild der aidskranken Berühmtheit vorgehalten hat. Daß er darüber hinaus über Foucaults Neigung zu SM plauderte, fanden etliche Franzosen pietätlos. Guibert aber hat sich nicht irritieren lassen. Er nutzte seinen Status als Schriftsteller (der in Frankreich viel zählt), um sich in den letzten Jahren unermüdlich über das Leben mit der unheilbaren Seuche zu äußern: Sex eingeschlossen. Viele hat sein eloquentes Tempo und seine stolze Ehrlichkeit berührt. Tatsächlich gelang es Guibert schon bei seinem ersten Auftritt in der Literatur-Talkshow Apostrophes, vor Aufregung zitternd, aber unerschrocken und elegant, die Perspektive der Subkultur salonfähig zu machen. (Eine ähnliche Wirkung muß Kurt Raab auf die deutschen Fernsehzuschauer gehabt haben.) Und es ist durchaus nicht leicht zu entscheiden, ob die heterosexuell orientierten Medien sich mit „nekrophiler Gier“ auf den sichtbar sterbenden hübschen Mann stürzten — wie der in Berlin lebende Schriftsteller Detlev Meyer beklagt — oder ob Guibert nicht selbst begierig war, mit der gemeinen Heimlichkeit endlich zu brechen, die sich so viele Aids-Kranke auferlegen. Daß es im einstigen Homosexuellen-Mekka jedenfalls Mut erforderte, sich über die gesellschaftliche Angst vor Aids-Kranken hinwegzusetzen, läßt sich schon aus dem erst kürzlich verschärften Strafrecht ersehen: Seit der Bürgerlichen Revolution hatte das französische Gesetz ein homosexuelles Delikt nicht mehr gekannt (das Kollaborations-Regime natürlich ausgenommen); in sozialistischen Aids-Zeiten gibt es es plötzlich wieder.

Hervé Guibert gehört zu einer Generation von Schwulen, die, weil sie ihre Sexualität nicht verschweigt, auch Aids nicht verschweigt. Das unterscheidet ihn von der Generation Foucaults und Raymond Arons, welche von der Gay-Liberation erst in ihrer Lebensmitte überrascht wurden. Ina Hartwig

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